Tadday, Ulrich (Hg.)

Im weißen Rössl

Zwischen Kunst und Kommerz, Musik-Konzepte 133/134, Neue Folge

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: edition text+kritik, München 2006
erschienen in: das Orchester 06/2007 , Seite 73

So hat es nun denn auch das gute alte Weiße Rössl, neben der Dreigroschenoper das erfolgreichste deutsche Theaterstück des 20. Jahrhunderts, in den musikologischen Olymp der Musik-Konzepte geschafft! Auf Initiative des rührigen Kevin Clarke wird das Werk Ralph Benatzkys in sieben Aufsätzen und zwei Interviews ins Visier genommen.
Es ist die Absicht der Autoren, das Rössl aus den Niederungen bloßer Unterhaltungsware zu ziehen: gewiss „Lachtheater“, aber eines mit Sinn und Verstand. Wie Norbert Abels eingangs programmatisch verkündet, offenbare sich die Operette am Ende ihrer Entwicklung als eine Parodie der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dabei lenkt er insbesondere auf die „revolutionäre Karriere“ von Robert Gilbert, dem Verfasser der Liedertexte. Freilich hätte hier auch seine Zusammenarbeit mit Hanns Eisler – bis hin zu der geplanten Arbeitslosenoper 150 Mark – Erwähnung verdient!
In einer aufschlussreichen Studie zur Aufführungspraxis stellt Kevin Clarke das Weiße Rössl unter Susan Sontags Begriff des „Camp“ im Sinne der „Liebe zum Übertriebenen“, zum „Übergeschnappten“ und einer „Variante des Intellektualismus“. Kitsch gewiss in Fülle; er sollte nicht versteckt, sondern im Gegenteil scharf angeleuchtet werden, damit er umschlägt in die Parodie. Wichtig sei, so Clarke, die „Ironiesignale“ zu entdecken.
Als modellhaft sieht er die Aufführung durch die „Bar jeder Vernunft“ in Berlin 1994 an; in einem ausführlichen Interview lässt Manuel Brug die Initiatoren zu Wort kommen. Allerdings ist die Revueoperette hier nun zur Kammeroperette geschrumpft. Doch zielte Benatzkys Weg ohnehin in diese Richtung; Ralf Waldschmidt legt einen kenntnisreichen Bericht darüber vor. Guten Aufschluss über die Aufführungspraxis gibt Jens-Uwe Völmeckes Charakterisierung der Stars der Uraufführung von 1930: fast alle reichlich mit Erfahrungen im Sprechtheater!
Richard Norton spürt detailliert den Versionen für London und New York nach, die das „Original“ einschneidend veränderten. Es wäre zu fragen, ob die Effektmaximierung auch in jedem Falle ein Qualitätsgewinn war. Dem Weißen Rössl in der Gestalt von 1930 zu begegnen, ist derzeit nicht möglich; vorgeblich haben die Autoren die Umarbeitung von 1951 als allein gültig sanktioniert. Lässt sich die „Urfassung“ rekonstruieren? Werden sich in den Verlagen oder Theaterarchiven doch noch Stimmensätze dazu finden? Es wäre ein weiteres Verdienst dieses gehaltvollen Bandes, wenn er ein solches „Revival“ anstoßen würde.
Fritz Hennenberg