Fein, Markus

Im Sog der Klänge

Gespräche mit dem Komponisten Jörg Widmann (= edition neue zeitschrift für musik)

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 74

Jörg Widmann zählt nun schon seit einigen Jahren zu den Shooting-Stars der Neuen-Musik-Szene: Als begnadeter Instrumentalist inspirierte er Wolfgang Rihm zu neuen Werken für Klarinette; und schon als ganz junger Komponist rief er mit seiner Schuloper Absences den altehrwürdigen Hans Werner Henze auf den Plan, der ihn zu sich in die Lehre nahm. Der doppelt Begabte wurde mit höchsten Preisen ausgezeichnet – wie zum Beispiel mit dem Schneider-Schott-Musikpreis, dem Paul-Hindemith-Preis (beides 2002) sowie dem Förderpreis der Ernst von Siemens Stiftung (2004). Jetzt erfuhr der Künstler noch eine weitere Ehrung: Anlässlich der 60. Sommerlichen Musiktage in Hitzacker, deren Komponistenporträt 2005 Jörg Widmann gewidmet war, erschien ein Buch über den heute 32-Jährigen.
Die Publikation ist in Interviewform gehalten. Jörg Widmann erläutert seine Ansichten zur musikalischen Poetik, zu einzelnen Werken oder sein Verständnis des musikalischen und kompositorischen Handwerks. Während eines sechsmonatigen Zeitraums hat sich Markus Fein mehrfach mit Jörg Widmann getroffen und die Antworten schließlich sechs Themenkomplexen zugeordnet: Der Weg zum Komponisten – Vorbilder/Einflüsse aufs Komponieren – Elemente/eingesetzte Techniken in einzelnen Werken – Bezug zur Tradition – Gültigkeit der musikalischen Gattungen – Selbstdefinition im gegenwärtigen Musikbetrieb.
Feins Interviewstil ist angenehm direkt. Ohne Umschweife fragt er nach der Machart einer Komposition, nach den Gründen für das Zurückziehen eines Werks, danach, wie sich Widmann in dieser oder jener Situation gefühlt hat. Der Autor vermeidet die feuilletonistische Selbstdarstellung, immer ist der Mittelpunkt der Komponist und Mensch Jörg Widmann und man ist erstaunt, wie offen und selbstkritisch dieser erzählt. Etwa, dass er die Betitelung seiner Klaviersonate mit Fleurs du mal heute als anmaßend empfindet und damit erklärt, „dass mir damals die epochale Tragweite dieser Texte nicht so genau bewusst war“. Sätze wie diese machen den Komponisten erlebbar, erfahrbar – und rechtfertigen die Form dieser Publikation. Zu neu sind Widmanns Werke, als dass man sie in einem Rundumschlag beschreiben oder gar beurteilen könnte. Und eine wissenschaftliche Analyse würde nie davon berichten, dass Jörg Widmann von einem Orchesterstück träumt, in dem die Hörner „einen bronzenen Klang“ haben, ähnlich wie in Brahms’ zweiter Sinfonie.
Einige wenige biografische Einblicke gewährt ein ausführliches Vorwort und Fotos, die Jörg Widmann mit Pierre Boulez, Wolfgang Rihm oder seiner Schwester Carolin, einer hervorragenden Violinistin, zeigen. Dennoch würde man sich für solch ein Buch eine ausführliche Vita wünschen, mit allen bis dato vollendeten Kompositionen und den Daten der jeweiligen Uraufführung. Das hätte diesem schönen Buch auch noch einen zusätzlichen, nützlichen Effekt eingebracht.
Sibylle Kayser