Avni, Tzvi
Im eigenen Tempo
Mein Leben mit der Musik
Januar 1935: Der braune Mob marschiert durch Saarbrücken. Viele Juden des damaligen Saargebietes sind alarmiert. Auch die Steinkes aus der Sophienstraße 3 erkennen die Gefahr. Vater, Mutter und ihr Sohn Hermann Jakob machen sich auf den Weg nach Palästina. Es war eine
Entscheidung, die dem kaum achtjährigen Jungen das Leben rettete. Unter dem Namen Tzvi Avni wird er einer der wichtigsten israelischen Musiker, der die nunmehr 60-jährige Musikgeschichte des zwar jungen, aber auf eine Jahrtausende alte Tradition bauenden Staates Israel entscheidend mitbestimmt.
Nun liegt die Autobiografie des mittlerweile 87-jährigen Komponisten auch in deutscher Übersetzung vor. Im schlichten Schreibstil nimmt er den Leser im eigenen Tempo an die Hand. Führt ihn in die Saarbrücker Sophienstraße und zeigt ihm das Erschrecken des Kindes, als sein guter Freund Helmut beim Aufmarsch der Braunhemden begeistert Heil Hitler ruft. Wir begleiten ihn in den ersten Jahren in Palästina, wo in der Schule aus Hermann Tzvi wird; erfahren von seinem Schmerz, als sein Vater von einer kriminellen Bande während des arabischen Aufstands 1938 entführt und ermordet wird; und wir folgen ihm in die Zauberwelt der Musik, die er sich mit einer Ziehharmonika der Firma Hohner erschließt.
Seine Lehrer und musikalischen Wegweiser sind u.a. Mordechai Seter, Paul Ben-Haim, Walter Levi, Abel Ehrlich, Frank Pelleg, Georg Singer oder Yitzchak Edel: ein Who is Who der israelischen Musikszene. Insbesondere Ben-Haim führte ihn zunächst zum Musikstil, den wir alle suchten: Regional-mediterrane Merkmale verschmelzen mit einer abendländischen Musikauffassung. Seter stand dagegen wie Boskovitch und Pártos für einen deutlich radikaleren, dissonanten Umgang mit den folkloristischen Wurzeln. Wie Avni zwischen diesen Polen seinen musikalischen Weg findet, das führt Michael Wolpe in seiner hilfreichen Einführung vor Augen. Schließlich wendet sich Avni hin zur europäischen und amerikanischen Moderne mit Live-Elektronik und abstrakten Klängen, die er mit vertrauten traditionellen und melodischen Elementen mixt.
Seit den 1980er Jahren kennzeichnet die Tonsprache Avnis ein neo-romantischer Stil, dem er ausladende Expressivität beimischt und in die er Popular- und Volksmusik integriert. Oft gibt es dabei einen zentralen Bezugspunkt: eine ausschweifende Melodielinie, die immer wieder von reichen instrumentalen Klangfarben umgeben ist. Der Komponist, in dem auch ein Maler steckt, wie er selbst sagt, malt reiche Klanglandschaften. In dem Buch sind aber auch Gedichte veröffentlicht wie auch einige seiner Essays zu moderner Musik, elektronischer Musik, orientalischem Lied oder Musik und Tanz.
Der Vorsitzende des Israelischen Komponistenverbandes nimmt alles auf, was passiert: politisch, ökonomisch und kulturell. So baut er Brücken, wie mit einem arabisch-jüdischen Jugendorchester und durch die freundschaftlichen Reisen nach Saarbücken. Tzvi Avni geht im eigenen Tempo. Es lohnt sich, ihm zu folgen.
Christoph Ludewig