Rossini, Gioachino

Il barbiere di Siviglia

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony 82876 80429 2, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 01/2007 , Seite 89

Das durch die Sparwut des Bayerischen Rundfunks zeitweilig in seiner Existenz bedrohte Münchner Rundfunkorchester hat in den vergangenen Jahren auch durch eine Vielzahl von konzertanten Opernaufführungen, die oft als Mitschnitt erschienen sind, seinen Ruf gefestigt. So schlägt das Ensemble stilistisch kompetent den Bogen von Engelbert Humperdincks Königskindern, Richard Strauss’ Schweigsamer Frau, Donizettis La Favorita hin zu einer überzeugenden Sicht auf Mozarts La Clemenza di Tito unter Pinchas Steinberg (Sony 82876839902). Aber auch bei Opernrecitals hat sich das Münchner Rundfunkorchester in jüngster Zeit bewährt: Eine hervorragende CD mit dem Tenor Rolando Villazón unter der Leitung von Michel Plasson (EMI 3447012), bei dem sich das Orchester von seiner subtilsten Seite zeigt, sowie pressfrisch unter der Leitung des neuen Chefdirigenten Ulf Schirmer eine mit Repertoirevielfalt aufwartende CD des Baritons Simon Keenlyside (Sony 82876884822) stehen dafür.
Beachtenswert ist auch die An-näherung an Rossinis Barbiere di Siviglia mit einer ansprechenden Sängerbesetzung unter Leitung von Miguel Gómez-Martínez, die einige nicht so häufig beleuchtete Aspekte von Rossinis komischer Oper in den Vordergrund rückt. Weniger die überdrehte Theater-Buffa denn eine genaue Ausleuchtung der Partitur, mit vernünftigen Temporelationen, die den atemlosen Taumel auf die Höhepunkte des Barbier begrenzen, bestimmen seine Leitung. Das Münchner Orchester ist bei der Durchdringung der Partitur mit kraftvollen, dabei nicht harten Streichern, auch in den Soli souveränen Holzbläsern und zuverlässigem Blech überzeugender Partner der Intentionen von Miguel Gómez-Martínez.
Bei der Sängerbesetzung dieses an zwei Abenden live mitgeschnittenen Barbiers wurde mit Ausnahme der in den vergangenen Jahren an den Mezzosopranhimmel aufgestiegenen Elina Garanc?a jüngeren oder zumindest noch nicht so bekannten Sängern eine Chance gegeben. Als Conte d’Almaviva kann Lawrence Brownlee mit prägnanter Mittellage und zuverlässiger, nur gelegentlich etwas belegt klingender Höhe für sich einnehmen. In die Klasse eines Juan Diego Flores, der jüngst seine Kunst in einem Barbiere aus Madrid auf einer ebenso hörens- wie sehenswerten DVD (Decca 0743111) unter Beweis stellen konnte, gehört er indes trotz Verzierungssicherheit (noch) nicht. Elina Garanc?a entspricht schon stimmlich dem Klischee der lieblich-leichtgewichtigen Rosina nicht. Auch dank der Ausstrahlung ihres dunkel timbrierten, koloratursicheren Mezzos kann sie ein Porträt der Rosina gestalten, die aus dem Mädchen, das von seinem Vormund Doktor Bartolo wegen seiner großen Mitgift geheiratet werden soll, eine selbstbewusste junge Frau macht, die in der späteren Beziehung mit dem Grafen Almaviva so schnell nicht klein beigeben wird.
Nathan Gunn in der Titelpartie kann seinen Bariton bei der Cavatina „Largo al factotum“ in gutes Licht rücken, ohne seine bedeutenden Rollenvorgänger ganz erreichen zu können. Kristin Sigmundsson lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, mit seiner Verleumdungsarie „La calunnia“ alle stimmlichen Register zu ziehen. Der Doktor Bartolo des Bruno de Simone wird zu einem mit musikalischen Mitteln genau charakterisierten Porträt des Ewiggestrigen, eines Anhängers des Ancien Regime, der bald von den Zeitläufen hinweggefegt werden wird. Abgerundet wird das Sängerensemble auf solidem Niveau von der markanten Berta der Giovanna Donadini und dem Bariton Roberto Accurso.
Unter der Leitung von Miguel Gómez-Martínez erhält nicht nur das Ensemble ebenso wie das sichere Orchester Gelegenheit, seine Qualitäten ins beste Licht zu rücken, ebenso überzeugend singt der von Andrés Máspero sorgfältig einstudierte Chor des Bayerischen Rundfunks. Trotz der großen Katalogkonkurrenz ist diese Einspielung dank der Handschrift des Dirigenten, der auf vordergründigen Klamauk und Effekthascherei verzichtet, und manch beachtenswerten Rollenporträts eine ansprechende Alternative.
Walter Schneckenburger