Kolja Lessing

Ignace Strasfogel

Leben und Werk

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: von Bockel, Neumünster
erschienen in: das Orchester 6/2023 , Seite 63

Die Schriftenreihe „Verdrängte Musik: NS-verfolgte Komponisten und ihre Werke“ des Vereins musica reanimata würdigte in den vergangenen 30 Jahren bereits zahlreiche während der NS-Zeit aus Deutschland vertriebene oder in Konzentrationslagern ermordete Komponisten mit Biografien – von Erwin Schulhoff bis Gideon Klein. Dieser jüngste, der 24. Band der Reihe, befasst sich nun mit einem Komponisten, der die Nazizeit zwar im Exil überlebt hat, in Deutschland jedoch heute so gut wie vergessen ist: Ignace Strasfogel, geboren 1909 in Warschau, verstorben 1994 in New York.
Das Besondere an diesem Band ist dabei, dass der Biograf, der Geiger Kolja Lessing – seinerseits ein recht bekannter Musiker – mit dem Komponisten während dessen letzten Jahren in regem Kontakt stand. Dennoch ist dieses Buch nur eingeschränkt für einen breiteren Leserkreis geeignet – handelt es sich doch nicht um eine leicht lesbare, klassische Biografie, sondern eher um ein umfassendes Kompendium zu Leben und Werk des Komponisten, das Forscher:innen oder künftigen Biograf:innen als Grundlage für ihre Arbeiten dienen kann und soll. So umfasst der eigentlich biografische Teil des Buchs keine 50 der insgesamt knapp 300 Seiten. Dennoch gewinnt man hier beim Lesen ob der zahlreichen Briefauszüge, Rezensionen und zeitgenössischen Zeugnisse ein recht klares Bild des Komponisten, Dirigenten und Musikers Strasfogel – von seiner Kindheit in Warschau, der Jugend in Berlin und der schon mit 14 Jahren begonnenen Ausbildung bei Franz Schreker, die 1933 ein abruptes Ende fand. Es folgen Kapitel über Flucht und Neuanfang in New York, die Zeit an der New Yorker Metropolitan Opera, seine kurzfristige Rückkehr 1974–79 nach Europa und sein Wirken in Straßburg, bevor er für die letzten 15 Jahre seines Lebens wieder in die USA zog.
Dem schließt sich ein umfassendes chronologisches Verzeichnis der erhaltenen Werke des Komponisten an, die sodann besprochen werden. Und hier ist Kolja Lessing wirklich ausführlich, ergänzt die theoretischen Analysen mit Notenbeispielen, lässt aber auch den einen oder anderen persönlichen Kommentar einfließen. Das Buch schließt mit dem „Versuch einer Stilkritik“, beginnend mit Aspekten von Strasfogels Handschrift. Aber es geht hier auch um die Einflüsse etwa des Lehrers Franz Schreker, literarische Inspirationen oder um den für den Komponisten offenbar so typischen Humor. Ein Quellenverzeichnis und ein Personenregister schließlich dürften künftigen Forscher:innen die Arbeit erleichtern. So zeigt sich dieser Band also als durchaus wissenschaftliches Werk – das aber durch den persönlichen Bezug zum Autor, der ab und an im Text aufblitzt, doch eine sympathische menschliche Note gewinnt.

Andrea Braun

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