Leoncavallo, Ruggero

I Medici

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Grammophon 000289 477 7456 3
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 73

Jeder kennt Ruggero Leoncavallos Einakter I Pagliacci, eines der Hauptwerke des italienischen Verismo. Dass der Komponist noch zehn weitere Opern geschrieben hat, ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Eine dieser stark duftenden Orchideen ist die Oper I Medici. In ihr geht es um historische Ereignisse des Geschlechts der mächtigsten Stadtherren von Florenz und deren Verstrickung in die große Politik. Es geht um eine Love­story (Giuliano, Vater des späteren Papstes Clemens VII., schwankt zwischen Simonetta und Fioretta) und um einen Mordanschlag, der Giuliano das Leben kostet.
Leoncavallo hat in dem 1893 in Mailand uraufgeführten, höchst dramatischen Stück alle Register seiner Orchestrierungskunst gezogen. Für einen Tenor wie Plácido Domingo, den entdeckungsfreudigen Grandseigneur unter den Startenören der heutigen Opernwelt, der willkommene Anlass, in dem anspruchsvollen Tenorpart der vieraktigen Oper weiträumige, leidenschaftliche Melodien zu singen. Es ist denn auch die Initiative Domingos, der sich die erste komplette Einspielung dieses nur ein halbes Jahr nach dem Bajazzo uraufgeführten Stückes verdankt.
Erstaunlich, mit welcher gestalterischen Grandezza und stimmlichen Bestverfassung Plácido Domingo die Partie des Giuliano de Medici meistert und das restliche Ensemble überstrahlt. Der Bariton Carlos Álvarez als Lorenzo de Medici macht zwar sängerisch Bella figura, aber Daniela Dessi (Simonetta Cattanei) und Renata Lamanda (Fioretta de Gori) in den weiblichen Hauptpartien trüben doch den vortrefflichen Gesamteindruck der Aufnahme durch arg irritierendes Vibrato.
Der Dirigent Alberto Veronesi versteht es hingegen glänzend, die Partitur der Oper, die sich wirkungsvoll auf dem schmalen, aber faszinierenden Grad zwischen Wagner und Verismo bewegt, dramatisch zupackend und farbig in Szene zu setzen. Er bereitet Plácido Domingo ein optimales orchestrales Podium, auf dem der immerhin siebzigjährige Tenor seine konkurrenzlose Gesangskunst noch einmal zur Schau stellen kann. Das Orchester des Maggio Musicale Fiorentino lässt mit seiner Klangpracht und spieltechnischen Brillanz keine Wünsche offen.
Mit diesem Renaissancegemälde, in dem der Komponist die Medici-Brüder Lorenzo und Giuliano zu Bühnenhelden macht, kann man sich nun immerhin von einer weiteren Facette des großen unbekannten Musikdramatikers Leoncavallo überzeugen, der auch jenseits des Pagliacci auf der Höhe seiner Zeit war. Es lohnt, ihn wiederzuentdecken.
Dieter David Scholz