Goehr, Alexander

Hymn to Night

for viola with piano accompaniment op. 87 (2010)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2012
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 64

Das Repertoire für Viola in Klassik und Romantik ist bekanntermaßen begrenzt. Umso erfreulicher, dass sich Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts mit diesem Instrument häufiger beschäftigen. Der 1932 in Berlin geborene und in Großbritannien aufgewachsene englische Komponist Alexander Goehr wimdete sich der Viola mehrmals: 1996 erschien Schlussgesang für Viola und Orchester, 1997 Sur terre, en l’air und 2012 Hymn to Night, die beiden letzten Werke für Viola und Klavier.
Alexander Goehr stellt seiner Komposition Verse aus der Hymn to Night des Barockdichters George Chapman voran. In diesen Versen ist davon die Rede, dass die Menschen mit ihren Gesichtern glänzen, aber in den Herzen schwarz sind, während die Kunst nach außen dunkel wirkt, aber in ihrem Herzen funkelt. Diese Verse sind für die Viola wie geschaffen, ist sie doch das Instrument für Elegien und Notturnos.
Goehrs Hymn to Night beginnt mit einem Soloteil für die Viola, in dem zum einen die hohe Mezzosopranlage auf der A-Saite, zum anderen der dunkle Baritonbereich auf der C-Saite hervortreten. Damit nutzt diese Komposition den Violaklang, der sowohl wie ein „Bass“ als auch wie eine hohe Singstimme wirken kann. So entstehen auch Bezüge zum Gedicht, das vom Gegensatz zwischen Dunkel und Hell ausgeht. Goehr stellt nicht den Klang in den Vordergrund, sondern die Melodie. Er steigert die barocke „Klangrede“, indem er nicht nur die bei Barockmusik wichtige Artikulation weiterentwickelt, kleinteilige Motive sehr differenziert gestalten lässt, sondern auch diese Klangrede durch die modernen Techniken in ihrem Ausdrucksspektrum erweitert und ins 21. Jahrhundert hinüberführt. Da erklingt dasselbe Motiv erst verfremdet sul ponticello gespielt, dann natürlich; mit Flageolett und Non-Vibrato-Spiel erscheint der Violaklang entmaterialisiert; Glissandi brechen aufwärtsstrebende Bewegungen ab und richten sie nach unten. Das Klavier, das erst nach 40 Takten einsetzt, begnügt sich, wie im Titel angegeben, mit accompaniment. Es tritt zur Viola in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes als Begleitung. Dabei wird nicht die Möglichkeit des modernen Flügels für orchestrale Wirkungen genutzt. Vielmehr bringt sich das Klavier dezent in das melodisch-motivische Spiel ein, manchmal polyfon mit der Viola, manchmal einen Klanguntergrund schaffend, manchmal alternierend als Duett.
Hymn of Night besteht aus einem Satz, der aber aus mehreren „Sätzen“ besteht. Das Stück beginnt langsam, mit der Achtel als Schlagzeit. Ein „Mosso, scherzando“ beschleunigt das Tempo, ein sehr langsames „Adagio“ schafft in der Mitte einen kontemplativen Ruhepunkt und ein „Allegretto quasi allegro“ schließt das Werk ab.
Alexander Goehrs Hymn to Night ist ein sehr vielschichtiges Werk, das die Literatur für Bratschisten enorm bereichert und vom Schott-Verlag in einer praxisnahen Edition vorgelegt wird.
Franzpeter Messmer