Rößler, Antje
Hunger nach Erfahrung
Drei Berliner Studenten stellen eine eigene "Freischütz"-Produktion auf die Beine
Am Anfang waren beide im gleichen Dilemma. Zwei Studenten der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler besaßen viel Ehrgeiz und Mut, aber wenig praktische Erfahrung, als sie im vergangenen Frühjahr in einem Café über ihre Zukunft sinnierten. Maximilian von Mayenburg studiert Opernregie im sechsten Semester. Elias Grandy ist angehender Dirigent in der Klasse von Hans-Dieter Baum und steht kurz vor dem Vordiplom.
Uns fiel auf, dass wir beide Berufe anstreben, für die man einen riesigen Apparat braucht, erinnert sich der Regiestudent von Mayenburg. Zwar ist unsere Hochschule recht gut ausgestattet. Wir arbeiten schon im ersten Studienjahr szenisch mit Gesangsstudenten und Klavierbegleitung. Aber die Möglichkeit, eine vollständige Oper mit Orchester zu inszenieren, gibt es selten. Warum also nicht selbst die Dinge in die Hand nehmen? Die beiden kamen auf den Einfall, eine eigene Oper zu produzieren. Für die Ausstattung holten sie sich eine Gleichgesinnte ins Boot: Nora Johanna Gromer, die Bühnenbild an der TU Berlin studiert. Finanzielle Interessen verfolgen die drei nicht. Wir machen kein kommerzielles Opernevent, stellt von Mayenburg klar. Niemand von uns bekommt eine Gage. Wir wollen wertvolle Praxiserfahrung auf und hinter der Bühne sammeln.
Am Anfang stand die Suche nach einem geeigneten Stück, das aus finanziellen Gründen von Laienmusikern und Gesangsstudenten zu bewältigen sein sollte. Außerdem wünschten wir ein Ensemblestück, das nicht von einer oder zwei Hauptrollen getragen ist, erklärt Regisseur von Mayenburg. Und schließlich sollte es auch schöne Musik sein, die Spaß macht. Irgendwann blieb dann Carl Maria von Webers Freischütz übrig.
Maximilian von Mayenburg interessiert an dieser Oper weniger das Wald- und Jägerthema. Spannend finde ich, dass es um eine Familie geht, die mit überlieferten Traditionen klarkommen muss. Wie kommt es, dass es von keiner Seite Einwände gegen die Schuss-Prüfung gibt?, überlegt er. Außerdem fasziniert mich die Ambivalenz der Figuren. Gut und Böse sind hier nicht eindeutig geschieden.
Auch wenn von Mayenburg für die Regie zuständig ist, Grandy die musikalische Leitung übernimmt und Nora Johanna Gromer sich um die Ausstattung kümmert ganz streng ist diese Aufgabenteilung nicht. Unsere Grundidee ist es, das Stück im Team auf die Bühne zu bringen und diesen Weg von Anfang an gemeinsam zu gehen, erklärt der Dirigent Elias Grandy. Wir sehen die Musik und das Bühnengeschehen als eine Einheit. Wir knüpfen aneinander an, inspirieren oder widersprechen uns. Meinungsverschiedenheiten bleiben da nicht aus. Natürlich haben wir manchmal unterschiedliche Ansichten, ergänzt von Mayenburg. Dann diskutieren wir darüber. Das ist konstruktiv. Der Umgang mit Konfliktsituationen gehört für mich zu diesem Lernprozess dazu.
Nachdem sie sich auf den Freischütz geeinigt hatten, suchten die drei zukünftigen Opernmacher einen geeigneten Saal. Der sollte genügend Zuschauern Platz bieten und einen Orchestergraben haben. Fündig wurde man im Heimathafen Neukölln, einem alten Ballsaal, der seit zwei Jahren als Veranstaltungsort dient. Die deutsche, von manchen als spießig angesehene Nationaloper wird nun ausgerechnet im jungen, pulsierenden, multikulturellen Neukölln aufgeführt, sagt von Mayenburg. Das hat mein Regiekonzept durchaus inspiriert.
Als sie den Mietvertrag in der Tasche hatten, machten sich die drei Studenten auf die Suche nach einem Orchester. Elias Grandy sprach das Sinfonie Orchester Schöneberg an, ein Laien-Ensemble, dessen Leiter er schon ein paar Mal bei Proben vertreten hatte. Die Musiker freuten sich, dass sie mal eine Oper spielen können. Laien haben dazu ja kaum Gelegenheit, erzählt der Dirigent. Die Chorpartien übernimmt univocale, ein Kammerchor aus Studenten verschiedener Berliner Universitäten.
Im November ging man an die Auswahl der Gesangsstudenten für die Solo-Partien. Von Mayenburg und Grandy pinnten Aushänge in den Berliner Musikhochschulen und veranstalteten ein Casting. Wir haben eine sehr jugendliche Sängerin für die Agathe gefunden, meinen sie. Bei uns ist das keine leidende Matrone.
Die Musikhochschule Hanns Eisler steht hinter dem Projekt Freischütz im Heimathafen Neukölln und bietet ideelle und auch eine gewisse monetäre Unterstützung. Gleichwohl kümmern sich die Studenten vollkommen eigenverantwortlich um Organisation und Finanzierung. Im Hinblick auf den Lerneffekt ist diese Konstruktion optimal. Wir verlassen die Sicherheit des Hochschulrahmens, trotzdem gibt es Ratgeber als Sicherheitsnetz im Hintergrund, sagt Maximilian von Mayenburg. Diese Mischung ist perfekt!
So lernen die Studenten beizeiten, dass künstlerische Produktion ohne Sorge um den finanziellen Rahmen nicht zu haben ist. Sie müssen ohne öffentliche Mittel auskommen und haben das Budget des Projekts daher auf etwa 15000 Euro gedrückt. Für die Saalmiete hat uns der Heimathafen Neukölln ein sehr großzügiges Angebot gemacht; die können wir weitgehend aus den Abendeinnahmen finanzieren, erläutert von Mayenburg die Kalkulation. Die Produktionskosten deckt zum einen Teil unsere Hochschule, zum anderen die Allianz Kulturstiftung über die Generalvertretung Ulf Bodenstein und private Spender.
Vor Kurzem wurde ein Spenden-Button auf der Homepage des Projekts installiert. Auch wenn die Grundfinanzierung inzwischen steht, freuen sich die jungen Opernmacher über weitere Geld- oder Sachspenden wie Lager- und Transportkapazitäten. Organisation und Fundraising haben die Initiatoren inzwischen an zwei Kulturmanagement-Studentinnen ausgelagert. Auch ihnen geht es vor allem darum, ihre Ausbildung durch praktische Erfahrungen zu unterfüttern.
Der Dirigent Elias Grandy staunt zuweilen selbst über den Lauf der Ereignisse. Vor nicht mal einem Jahr saßen wir zu zweit im Cafe und dachten so ins Blaue, wir würden gerne mal eine Oper machen, wundert er sich. Und nun sind wir rund hundert Leute, die alle aus Spaß und aus eigenem Antrieb bei der Sache mitmachen.