Werke von Antonio Vivaldi und Joseph Bodin de Boismortier

Huit Concertos

Jean-Louis Beaumadier (Piccolo), Ensemble Instrumental La Follia, Orchestre National de France, Ltg. Jean-Pierre Rampal

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Music Square
erschienen in: das Orchester 9/2024 , Seite 69

Es mag in diesen Tagen, in denen sich fast jedes Symphonieorchester einen Barockcoach leistet, ein wenig in Vergessenheit geraten sein – aber es gab einmal eine Zeit, in der man in deutschen Schulen die „Terrassendynamik“ als kennzeichnendes Element der Barockmusik lehrte. Was damit gemeint ist, hat man beim Anhören dieser CD spätestens nach zwei Minuten begriffen: Zu hören sind darauf zuerst drei Concerti für Piccolo-Flöte Antonio Vivaldis, gespielt vom Orchestre National de France, mit Jean-Louis Beaumadier als Solisten, dirigiert von Jean-Pierre Rampal. Eingespielt wurden die Concerti 1979 und das ist nicht zu überhören: Nicht nur die erwähnte Terrassendynamik (so überhaupt Dynamik) erstaunt heutige, von der historischen Aufführungspraxis verwöhnte Ohren, sondern auch der fette Orchesterklang, die oft sehr eigenwillige Tempogestaltung des Dirigenten, die kaum existente Phrasierung, die Unsauberkeiten des Orchesters und bei höheren Tönen oft auch des Solisten …
Dabei spielt gerade Letzterer eigentlich im Ausdruck teils ergreifend, höchst virtuos (wenn heutige Traverso-Spieler da natürlich noch eines draufsetzen) und mit feinem Gefühl für Agogik. Aber die Gesamtinterpretation der Stücke ist doch so weit weg von dem, was man heute gewohnt ist, dass man die Aufnahme eher als Zeitdokument genießen kann.
Dazu finden sich auf der CD vier weitere Concerti von Vivaldi, arrangiert für Piccolo, gespielt vom gleichen Solisten, aufgenommen Ende der 90er Jahre mit dem Ensemble Instrumental La Follia, gleichfalls auf modernem Instrumentarium musizierend. Hier hört man, welche Welt sich bei der Interpretation von Barockmusik innerhalb von 20 Jahren aufgetan hat: Klarere Phrasierung, dynamische Differenzierung, ein federnder, duftiger Klang, viel sauberere Spitzentöne, stabile Tempi bei doch immerhin existenter agogischer Abstimmung und eine recht gute Balance zeigen, dass diese harmonisch oft so statisch scheinende Musik tatsächlich äußerst lebendig und mitreißend ist. Wenn man sie nur recht zu nehmen weiß.
Als kleine Zugabe lauscht man auf dieser Aufnahme schließlich einem Livemitschnitt von Boismortiers Concerto für fünf Flöten – gespielt 1984 von ehemaligen Schülern Jean-Pierre Rampals, die sämtlich keine Barockspezialisten sind. Dennoch bleibt der Klang so einer Flötengruppe faszinierend, und vor allem ging es hier wohl um eine Hommage an ihren Lehrer.
Das bescheidene Booklet erzählt in winzigem Druck vor allem davon, wie der Solist zu diesen Aufnahmen kam. Dessen Biografie nimmt viel Raum ein – über Orchester und Repertoire findet sich da nichts. Für Fans von Flötenmusik und insbesondere des im Zentrum der Aufnahmen stehenden Jean-Louis Beaumadier mag diese CD also von (historischem) Interesse sein; für Vivaldi-Fans oder generell an Barockmusik Interessierte eher nicht.
Andrea Braun