How long is now?
BigBand Deutsche Oper Berlin, Live vom Jazzfestival "Jazz in Town"
Wie ist das wohl, wenn man als Klarinettist oder Posaunist abends im Orchestergraben sitzt und mithilft, die Partitur von sagen wir mal Mozarts Don Giovanni oder Verdis Falstaff zum Klingen zu bringen, dann aber einen oder wenige Tage später beim Köpenicker Blues & Jazz Festival am Mikrofon steht und kommentierende Jazz-Phrasen beim Standard Willow weep for me hinter einer Sängerin bläst? Oder im anderen Fall (als Klarinettist nun zum Saxofon gewechselt) Bebop-Chorusse über Toots Thielemans beliebtes Bluesette improvisiert?
So geht es tatsächlich den Musikern der BigBand der Deutschen Oper Berlin, hier konkret übrigens dem Blechbläser Simon Harrer und dem Holzbläser Oliver Link am Altsaxofon. Dies sind in dem 19-köpfigen Ensemble zwei von einer ganzen Reihe höchst inspirierter Solisten bis hin zum brillant zupfenden Kontrabassisten Christoph Niemand, der in seinem Feature laut Titel sagt: Cant stop my leg.
Zu hören ist dies alles neben sieben weiteren Nummern auf der neuen CD der Band, deren Aufnahmen bei einem Livekonzert im September 2010 entstanden sind. Und diese aktuelle Scheibe fügt sich gut in eine Reihe mit einer ebenfalls hier besprochenen Vorgängerin, bei der indes stärker der Schlager- und Jazz-Veteran Bill Ramsey (der mit Pigalle und der Zuckerpuppe) ins Zentrum gestellt worden war. Allerdings hören wir auch hier bei vier Titeln in der Person Pascal von Wroblewskys eine fähige Vokalistin. Sie brilliert unter anderem in dem weiland von der großen Billie Holiday gesungenen The end of a love affair, jenem Song, der in seinem klugen, gleichsam tiefenpsychologisch fundierten Text Momente enttäuschter Liebe beschreibt.
Insgesamt ist diese frisch gepresste CD jazziger, genauer: noch jazziger als die frühere. So zeigt sich der Tenorsaxofonist Peter Ludewig beispielsweise fast als Free-Jazz-Musiker in der deftigen Einleitung von Einspielzeit. Das ist eine von drei Kompositionen Rolf von Nordenskjölds, der am Ende aus Bluesette ein Duett macht, indem er sich im Scat-Gesang mit der Sängerin abwechselt und ihr seine Phrasen zuspielt. Das darf er, nicht nur, weil er der Chef ist
Ein echtes Schmankerl: Komm, lieber Mai von wem? Na, von Wolfi Mozart! wird im Arrangement des altgedienten Edelhagen-Trompeters Rob Pronk noch ein bissel heiterer und lockerer gespielt, als das Stück eh ist, nämlich ungerade und swingend! Gleich danach fetzt mit El Minotauro das Hammer-Stück daher mit Achim Rothes pfeilrecht in die Höhe stechender Trompete, der wollüstig röhrenden BigBand, bevor Rüdiger
Ruppert und Andreas Birnbaum mit Schlagzeug und Percussion ein Duo beaten. Dass bei einer Bigband auch eine Ballade funktionieren kann, beweist Oliver Link in einer Manier, die sowohl an den Ellington-Star Johnny Hodges als auch an den Hardbop-Meister Phil Woods erinnert, bei Pink Lips, auch einem Stück des Bandleaders. Wieso eigentlich pink? Da ist doch gar nichts Kitschiges dran!
Kurz und gut: Hier ist eine Jazz-Platte von großer Klasse.
Günter Buhles