Hommage à Clara Schumann

Komponistinnen im Spiegel der Zeit

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Kaleidos KAL 6317-2
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 75

„Productives Genie“ sei dem schönen Geschlecht abzuerkennen, meinte Hans von Bülow. An Konservatorien konnten Frauen in den Fächern Violine, Klavier und Gesang, „nicht aber in den Fächern Contrapunct und Harmonie“ ausgebildet werden. Selbst Felix Mendelssohn Bartholdy schrieb an seine Schwester Fanny so manchen Satz, der die Gleichstellungsbeauftragten unserer Tage auf den Plan rufen würde: „Was deine Musik und Komposition betrifft, so ist sie sehr gut für meinen Magen, der Frauenzimmerpferdefuß guckt nirgendwo hervor.“ Wir lesen das Booklet und sind bestürzt, mit welcher Perfidie die musikalische Männerwelt des 19. Jahrhunderts ihr Terrain abzusichern suchte und wie beinahe unüberwindlich jene Hürden waren, die begabte Frauen in dieser Zeit zu nehmen hatten.
Dreh- und Angelpunkt der CD ist Clara Schumann, eine Frau, die zu Lebzeiten Anerkennung als Pianistin, Lehrerin und Sachwalterin des Œuvres ihres Gatten, nicht aber als Komponistin erfuhr. Ihre Romanzen op. 22, 1853 für den Geiger Joseph Joachim geschrieben und von Katharina Deserno für das Cello adaptiert, bekunden immenses kompositorisches Talent. Titelgebendes Kernstück der Produktion ist Oxana Omelchuks Hommage à Clara Schumann für Cello solo, in der Lebensstationen Clara Schumanns nachgezeichnet werden. Die 1975 geborene Weißrussin Omelchuk studierte unter anderem in Köln. Ihre Reverenz an die Romantikerin durchmisst einen weiten Raum musikalischer Charaktere und cellistischer Spieltechniken und bezieht das Zitat eines Klavierstücks von Clara Schumann sowie – von der Solistin synchron zum Cellospiel vorgetragen – Textzitate aus Briefen ein.
Eine eindrucksvolle, vor Trivialität gleichwohl nicht gefeite Hommage, souverän vorgetragen von der 1982 geborenen Katharina Deserno: Nach Stationen in Frankfurt und Paris beendete sie ihre Studien 2009 an der Kölner Musikhochschule und unterrichtet mittlerweile selbst an diesem Institut. Die vielseitige Musikerin ist auch publizistisch tätig, für den Booklettext dieser CD zeichnet sie verantwortlich. Gemeinsam mit ihrem Klavierpartner Nenad Lecic – auch er wirkt als Lehrbeauftragter in Köln – hat sie weitere Werke eingespielt, die in enger Beziehung zu Clara Schumann stehen: eine Romanze der nahezu unbekannten Sophie Seibt, eine Sonate der Clara-Schumann-Schülerin Luise Adolpha Le Beau sowie zwei Stücke von Fanny Hensel. Ergänzt wird das Programm durch Epilogue der englischen Bratschistin und Komponistin Rebecca Clarke.
Katharina Desernos voller, sehniger Celloklang, ihr breites Spektrum klanglicher Valeurs von flüsternden Flageoletts bis zur Fortissimo-Attacke, die perfekte Balance und das feine Zusammenspiel des Duos, all dies bereitet ungetrübtes Hörvergnügen. Und doch bleibt ein Moment der Enttäuschung: Ist jene „Emancipation“, vor der es Bülow offenbar grauste, nicht erst dann verwirklicht, wenn Fanny und Clara nicht mehr unter dem Label „Komponierende Frauen“, sondern wie selbstverständlich neben Felix und Robert präsentiert werden?
Gerhard Anders