Michael Thumser

HOF: Von woandersher

Die Hofer Symphoniker widmen sich der schwedischen Komponistin Elfrida Andrée

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 7-8/2024 , Seite 57

Wenn das Publikum nicht zur Orgel kommen kann, dann muss die Orgel zum Publikum kommen. Das Instrument, das in der Hofer Freiheitshalle erklang, kam aus Essen. Die 4502 Pfeifen des gewaltigen Instruments in der dortigen Philharmonie tönten, vollständig digital gesampelt, aus Lautsprecherboxen in den Festsaal.
Die Königin der Instrumente erklingt während eines weitgehend weiblichen Abends der Hofer Symphoniker, der der 1929 gestorbenen Schwedin Elfrida Andrée gewidmet ist – weiblich, obwohl mit Robert Schumanns Ouvertüre zu seinem dramatischen Tongedicht Manfred ein ausgesprochenes „Männerding“ den Auftakt markiert. Was der Komponist als Theater im Innern inszenierte, verwandeln die Hofer Symphoniker in eine Seelen-Oper aus Drängen und Feierlichkeit, mit einem resignierenden Schluss.
Männer auch wirken als Protagonisten des Abends: Neben Hermann Bäumer, dem scheidenden Conductor on residence, nimmt am schwarzen Orgel-Spieltisch der international geschätzte Konzertorganist Christian Schmitt Platz. Dem Ernst der schumannschen Ouvertüre stellt er den Optimismus und die Beschaulichkeit von Elfrida Andrées zweiter Symphonie für Orgel und Blechbläser entgegen. Nicht sakral tönt das digitalisierte Instrument in Hof, sondern ganz und gar diesseitig, während der lichte Bläsersatz und das leichte Bläserspiel des begleitenden Ensembles alles Blaskapellen-Gedöns vermeiden. Dennoch wächst ein Ganzes nicht recht zusammen: Aufs Kleinformat herabgedimmt, scheint der Klang der Orgel von woandersher in den Saal zu gelangen; hier kann sie Fülle und Facetten des riesigen Resonanzraums nicht ausloten, den die Essener Philharmonie ihrem Volumen bietet: Nicht 4502 Pfeifen, nur die High-End-Lautsprecher machen Musik.
Doch zugegeben, das Experiment verdient Interesse, und mehr noch die das Programm beherrschende Komponistin. Sie bewährt sich sowohl als zielstrebige Kämpferin für die gesellschaftliche und künstlerische Gleichrangigkeit der Frauen in der Männerwelt als auch als inspirierte Schöpferin eines umfangreichen Œuvres, das einen Platz im Repertoire verdient. Aus exotischer Ferne oder Fremde scheint die Musik der schwedischen Romantikerin nicht zu kommen: Offenkundig fühlte sie sich weniger dem skandinavischen als dem deutsch-österreichischen Idiom ihrer Zeit verpflichtet.
Aus ihrer ersten Symphonie befreit Dirigent Bäumer imponierend stimmungsvielfältige Einfallskräfte. Bezwingend betont er markige Kontraste, temperamentvoll verweist er auf die Freiheiten, die sich die Komponistin vernehmlich für ihren Eigenstil nahm. Zwielichtig die dunklen Stimmungen; die druckvollen Passagen durchquert Hermann Bäumer mit dem Orchester pressant, auch schon mal launig, als wärs Schumanns (durchaus verwandte) Frühlingssymphonie. In ein Theater im Innern lädt auch dies vielerorts durchsonnte Werk ein: in ein Sommertheater.
Ganz ohne große Bühne kommt hingegen das kürzeste, vielleicht schönste Stück des Abends aus. Nur mit den Streichern entwirft der Dirigent bewegt und beseelt ein „Andante quasi Recitativo“ Elfrida Andrées, eine Miniatur vergänglicher Empfindsamkeit, fragil in Klang und Ausdruck. Mit feinster Akkuratesse formen die Musikerinnen und Musiker sie aus, kaum fünf zeitlose Minuten lang. Nicht gleich ein ganzes Theater des Innern tut sich auf, sondern nur ein paar Szenenbilder, die aber schimmern wie nicht von dieser Welt, berückend transzendent: von woandersher.

Michael Thumser
www.hofer-symphoniker.de