Bloch, Ernest

Hiver – Printemps / Proclamation / Poèmes d’Automne / Suite

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 67076
erschienen in: das Orchester 05/2005 , Seite 82

Von wenigen Ausnahmen wie der Rhapsodie für Violoncello und Orchester Schelomo einmal abgesehen, zählt Ernest Bloch nicht unbedingt zu den meistgespielten Komponisten im Konzertrepertoire. Dazu mögen seine Bemühungen um eine „jüdische Musik“ ebenso beigetragen haben wie die Anforderungen, die insbesondere seine größeren Orchesterwerke an Besetzung und Ausführung stellen. Umso erstaunlicher ist es, dass jüngst – ganz ohne jeden offensichtlichen Jubiläenzwang – gleich zwei CDs ausschließlich mit Bloch-Werken erschienen sind. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt Bloch unter Israel Yinon, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Steven Sloane; zwei Projekte mit unterschiedlichem, aber in beiden Fällen positivem Ergebnis. Denn verschiedener hätten die Sichtweisen auf den Komponisten nicht sein können.
Die Grundhaltungen, mit denen hier dem Werk Blochs begegnet wird, sind absolut konträr. Das betonen allein schon die beiden jeweils sehr treffenden Covergestaltungen: düster und vergeistigt mit dem Porträt des israelischen Dirigenten beim SWR und leicht, schlank und freundlich mit einer blumigen Grafik beim DSO. So vielfältig und facettenreich wie das Werk des Komponisten, aber immer konsequent sind die beiden Aufnahmen, von denen man keiner wirklich den Vorzug geben möchte. Das ist vermutlich stimmungsabhängig bzw. Geschmackssache. Selbst wenn beide Platten mit demselben Werk beginnen, ist das kaum vergleichbar, allein schon, weil Yinon die Deux Poèmes pour Orchestre in der ursprünglichen Fassung von 1904/05 spielen lässt, Sloane dagegen in der Revision von 1934, Tempo- und Klangfarbendifferenzen inklusive. Das bedeutet bei einem rund viertelstündigen Werk einen Zeitunterschied von etwa drei Minuten und damit an sich zwei verschiedene Stücke. Während die DSO-Aufnahme einen sehr lichten, schlanken, impressionistisch anmutenden Klang schafft, ist das Klangbild, für das sich Yinon mit dem SWR entscheidet, ein spät- oder postromantisches.
Die Stuttgarter Aufnahme wählt für die Porträt-CD die Strategie, Werke aus möglichst verschiedenen Schaffensperioden zu spielen – ausschließlich für großes Orchester; die Berliner sucht die Breite in den Besetzungen. Im Ergebnis betont Yinon vor allem die düsteren, streckenweise sarkastischen Seiten des blochschen Werkes, so in der Suite Symphonique, einem typischen Spätwerk von partiell erdrückender Schwüle, oder in der in ihrer Geschlossenheit fesselnden Es-Dur-Sinfonie, entstanden in den Jahren 1954/55.
Steven Sloane bezieht so herausragende Solisten wie die Mezzosopranistin Sophie Koch, die Bratschistin Tabea Zimermann und den Trompeter Reinhold Friedrich ein und entscheidet sich mit Werken wie Proclamation für Trompete und Orchester, den Poèmes d’Automne für Mezzosopran und Orchester und der Suite für Viola und Orchester für eine moderatere Seite des blochschen Schaffens. Die von Sophie Koch stimmgewaltig und klangschön gestalteten Herbstgedichte lassen auch im Vergleich mit mittlerweile häufiger gespielten Zeitgenossen Blochs aufhorchen. Die Orchesterfassung stammt aus dem Jahr 1917 und erinnert an Opernklänge Franz Schrekers oder Franz Schmidts, während die orchestrale Dichte in der Bratschen-Suite wie die Pointiertheit der Proclamation eindeutig einzig und allein „blochsch“ sind.
Schließlich machen beide Platten hochgradig süchtig.
Tatjana Böhme-Mehner