Neubarth, Kerstin

Historische Musikinstrumente im 20. Jahrhundert

Begriff - Verständnis - kompositorische Rezeption

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dohr, Köln 2005
erschienen in: das Orchester 12/2005 , Seite 72

Die Präsenz historischer Instrumente im 20. Jahrhundert ist ein so ausgeprägtes Phänomen, dass es dringend notwendig scheint, ihm die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. In dem Buch von Kerstin Neubarth geht es dabei besonders um die kompositorische Rezeption der Instrumente im 20. Jahrhundert, um einen äußerst spannenden Dialog also zwischen „Alter“ und „Neuer“ Musik. Wie erscheint das al-te Instrument im Lichte neuer kompositorischer Methoden, welche Klangfarben der Vergangenheit werden in der Gegenwart aktualisiert oder transformiert?
Dass Kerstin Neubarth die richtigen Voraussetzungen für das Thema besitzt, steht außer Zweifel: Denn neben der Auseinandersetzung mit der „klassizistischen Moderne“ wurde das Buchprojekt durch ihre „Dokumentation von Einspielungen Alter Musik auf historischem Instrumentarium“ angeregt. Die Perspektive der Untersuchung gewinnt die Autorin aus der Literaturwissenschaft: Der Begriff der Konnotation Jauߒscher Prägung, von dem sie sich „anregen“ ließ, zieht sich als Leitfaden durch das Buch. In der Einleitung nennt die Autorin Fragen der Rezeption und der Wirkung, die sie im Lichte der Konnotation thematisieren möchte, wie z.B.: „Wie setzen sich Komponisten des 20. Jahrhunderts mit den Instrumenten und ihren Konnotationen auseinander?“
Die Auswahl des zu untersuchenden Materials fällt erstaunlich heterogen aus. So untersucht die Autorin den Zeichencharakter von Cembalo, Blockflöte und Gambe, da „hier auf Arbeiten zurückgegriffen werden kann, die für die Diskussion relevante Informationen zusammentragen“. Auch bezüglich der analysierten Werke fällt die Wahl auf Kompositionen, die disparater nicht sein könnten. So stellt die Autorin Mauricio Kagels Musik für Renaissance-Instrumente eine Komposition Gerhard Krölls gegenüber, allein aus dem Grund, da „der Vergleich zunächst allein durch die übereinstimmende Besetzungsangabe ,für Renaissance-Instrumente‘ motiviert ist“. Weitere ausgewählte Kompositionen sind die Cembalokonzerte von Bohuslav Martinu¢ª und Hugo Distler.
Aufgrund der nur auf oberflächlicher Ebene vergleichbaren Kompositionen bleiben die musiktheoretischen und semiotischen Erkenntnisse flach, stehen aber einer Fülle analytischer Beobachtungen gegenüber, die ihrerseits nur wenig theoretisch reflektiert auf den Ausgangspunkt der Fragestellung bezogen sind. Trotz breitem und profundem Wissen sind die Auswahlkriterien von Theorie und Material unspezifisch. Daraus resultiert weniger eine paradigmatische Beleuchtung einzelner Situationen, die das Spannungsfeld von Geschichte und Gegenwart thematisierten, vielmehr ergibt sich ein Sammelsurium von Beobachtungen, die teils sehr interessant sind oder aber langatmig. Letzteres gilt meist für die Analysen, Ersteres für die historischen Referate, etwa zur musikhistorischen Situation um 1900 in Italien, zu den „Instrumenten mit unterbrochener Tradition“ oder der Dialektik zwischen exotischer und historischer Rezeption der Musikinstrumente.
Steffen Schmidt