Hilmes, Oliver
Herrin des Hügels
Das Leben der Cosima Wagner
Mit dem Parsifal und Richard Wagners Tod begann die Erfolgsgeschichte Bayreuths. Es war Cosima Wagner, die Witwe, die die Bayreuther Festspiele, die Wagner nach der Uraufführung des Rings für gescheitert hielt und die acht Jahre später mit dem Parsifal wieder aufgenommen wurden, in ein fluktuierendes Unternehmen verwandelte, das Gewinn abwarf und in den gesellschaftlichen Mittelpunkt rückte. Man kann ihr gewiss viel vorwerfen. Aber man muss zugeben, dass Cosima, die Richard um mehr als 40 Jahre überlebte, am Grünen Hügel mehr als 30 Jahre lang Erfolgsgeschichte geschrieben hat, wenn auch nicht eben im Geiste Richard Wagners: Auf unserem Hügel ist nun die feste Burg. In diesem Gottes-Haus sind alle berufen, die nur wahrhaftig und notgedrungen sind. Diese Äußerung Cosima Wagners ist vor allem das Dokument einer Religionsgründung in Bayreuth, einer Religion, die sie gegründet hat und als deren Hohepriesterin sie sich empfand.
Wie es dazu kam, schildert Oliver Hilmes in seiner Biografie, die zu einem Gutteil auch eine Wagner-Biografie ist, sehr detailliert. Nach Alma Mahler, der Witwe im Wahn, hat sich der stabreimlüsterne Autor nun der Herrin des Hügels zugewandt. Das Ergebnis ist eine außerordentlich fundierte, gut lesbar (wenn auch nicht gerade animierend) geschriebene und hervorragend recherchierte, sich ganz auf Quellen stützende, absolut sachliche Biografie der zweiten Wagner-Gattin.
Cosima Wagner schrieb Ideologie- und Gesellschaftsgeschichte. Hilmes macht das verständlich, indem er den psychologischen, weltanschaulichen und biografischen Dispositionen der problematischen Persönlichkeit Cosima Wagners nachgeht. Auf der Grundlage eines etwas breit angelegten Psychogramms schildert er ungeschminkt die unterwürfige Ehefrauenrolle und den pathetischen Tempeldienst der Liszt-Tochter, deren Wagner-Kult nach Wagners Tod Bayreuth zum Brennpunkt deutsch-nationalen (antisemitischen) Denkens machte und zur Voraussetzung hitler-scher Wagner-Vereinnahmung und -Verfälschung wurde. Man hätte sich zwar etwas mehr psychologische und sprachliche Zuspitzung des Texts gewünscht. Es fehlt ihm an Attraktivität und Spannung.
Aber dafür wartet Hilmes mit einer ersten umfangreichen Cosima-Wagner-Biografie auf, die ganz aus dem Geist wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Richard Wagners zweiter Gattin geschrieben ist, fern aller Anbetung, Verklärung oder Idealisierung, was fast allen bisherigen Cosima-Wagner-Biografien vorzuwerfen ist. Insofern darf das Buch zweifellos als künftiges Standardwerk gelten.
Dieter David Scholz