Hillborg, Anders

Heisenbergminiatyrer

for string quartet, Partitur und Stimmensatz

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Peters, Frankfurt am Main 2010
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 70

Der Komponist Anders Hillborg wurde 1954 in Stockholm geboren. Sein Streichquartett Heisenbergminiatyrer aus den Jahren 2006/07 besteht aus sieben Miniaturen, die nicht symmetrisch geordnet sind, aber doch einer quasi regelmäßigen Abfolge unterworfen sind: Einer sehr kurzen Miniatur folgt eine längere, wobei der größere Umfang dadurch wieder ausgeglichen wird, dass die längeren in einem erheblich schnelleren Tempo gespielt werden. Allein am Schluss folgen zwei Miniaturen von größerer Ausdehnung aufeinander. Insgesamt huschen alle sieben schnell am Hörer vorbei (als Gesamtdauer wird eine Dauer von rund elf Minuten angegeben).
Im Eilschritt durchmisst der Hörer einen weiten Zeitraum der Musikgeschichte. Vielfach werden die Assoziationsspielräume und Anspielungen in Untertiteln wie „à Béla Bartók“ (zur ersten und zur fünften Miniatur) oder „à Dmitri Shostakovich“ (zur vierten) oder „à Johann Sebastian Bach“ (zur sechsten), schließlich „à Igor Stravinsky“ (zur siebten) angegeben. Aber auch dort, wo solcherart Widmungen fehlen, sind musikhistorische Bezüge zu hören: etwa in der „Heisenberg Fanfares“ betitelten zweiten Miniatur. Auch Spielgesten und Spielhaltungen mögen an musikhistorische Ereignisse erinnern, die wie ein Déjà-vu aufblitzen und schnell wieder verschwunden sind.
Manch eine Miniatur ist deutlich an einer strukturellen Idee orientiert, wie die erste („à Béla Bartók“), die mit dem eigentlichen Titel „Ascending Duos“ auf ihr Aufbauprinzip verweist: Über Violoncello und Viola baut sich das Sätzchen systematisch auf, ist beendet, wenn der Prozess „durchexerziert“ ist. Es findet sein Pendant in der fünften Miniatur („Descending Duos“), die das Prinzip umkehrt. Zugleich mag der Hörer auf diese Weise an Bartóks Vorliebe für Umkehrungen erinnert werden.
Dem Miniaturzyklus fehlt eine gehörige Portion Humor nicht. Als Hörer wird man sich vielleicht hier und da fragen, ob und wie man komponierte Strukturen überhaupt wahrnimmt und mit dem Ohr „durchschaut“. „Quicksand Bouncing“, die siebte und letzte Miniatur („à Igor Stravinsky“), reißt den Hörer durch die unvorhergesehenen dynamischen Akzentuierungen aus dem Trott; „Exploded Aria“ („à Dmitri Shostakovich“) zeigt sich u.a. als Spiel mit dem Spiel im Unisono. Der Hörer wird irritiert.
Immerhin scheint Heisenberg – der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg, der 1927 das Phänomen der „Heisenberg’schen Unschärferelation“ formulierte – bei der Namensgebung Heisenbergminiatyrer Pate gestanden zu haben.
Anders Hillborgs Werkverzeichnis zeigt, dass er als Komponist in vielen Sparten, Gattungen und Genres heimisch ist. Hillborg komponierte Werke für Sinfonieorchester, Blasorchester, Chor- und Kammermusik, Filmmusik. Die Komposition Heisenbergminiatyrer ist ganz auf die Gattung Streichquartett zugeschnitten.
Eva-Maria Houben