Ulm, Renate (Hg.)
Haydns Londoner Symphonien
Entstehung Deutung Wirkung
Konzertführer gibt es viele, sowohl historische als auch aktuelle. Und Haydns Londoner Symphonien, die die Gattung entscheidend prägten, werden dort immer thematisiert. Hinzu kommen die wissenschaftlichen Arbeiten u.a. von Robbins Landon, der in seiner Chronicle and Works auch auf jede einzelne Symphonie eingeht. Deshalb die Frage: Muss es einen weiteren Konzertführer geben, der sich zugegebenermaßen ein wenig umfangreicher erneut diesem Repertoire widmet?
Diese Frage beantwortet sich jedoch von selbst, wenn man das kleine Taschenbuch in die Hand nimmt und die einzelnen Werkbetrachtungen und die genauso interessanten kurzen Essays liest. Die Lektüre macht ungemein Spaß und man möchte das Buch kaum weglegen. Schon der einleitende Überblick über Haydns Londoner Symphonien ist aufschlussreich und vergnüglich zugleich. Kaum wurde zuvor versucht, auf so engem Raum einige Charakteristika dieser Werkgruppe so spannend aufzuarbeiten und gleichzeitig mit nahezu Haydnschem Humor diese selbst in Frage zu stellen. Denn für fast alle als Merkmale herausgestellten Komponenten listet der Autor auch deren Ausnahmen auf, weshalb man sich hinterher wieder fragen muss, ob es bei den zwölf Kompositionen einheitliche Gestaltungs- oder Kompositionsprinzipien überhaupt gibt. Und doch entspricht diese Darstellung des Komponisten der falschen Reprise, der immer wieder die Hörgewohnheiten seiner Rezipienten humoristisch unterläuft, der Haydnschen Musik.
Bei den Werkbetrachtungen, die auch für den musikalischen Laien verständlich sind, weil sie keine raumgreifende Analyse vorlegen, und den knappen, thematisch gebundenen allgemeinen Essays, die an Hörfunkfeatures erinnern, spürt man, dass die Autoren gewohnt sind, fachspezifische Sachverhalte einer allgemein gebildeten Leserschaft näher zu bringen. Nicht alle Beiträge sind auf dem gleichen sprachlichen und betrachtenden Niveau, aber keiner fällt wirklich gravierend negativ auf. Vor allem die Werkbeschreibungen, in denen versucht wird, die damals gültigen Rezeptionsvorstellungen mit den von Haydn bewusst so gestalteten Überraschungsmomenten zu konterkarieren, sind erhellend und erklären die Musik in ihrer Funktion weit mehr als viele ausführliche harmonische und formale Analysen.
Umgeben wird eine jede Werkbetrachtung mit einer Bildbeschreibung sowie einem Essay über verschiedene biografische, allgemeingeschichtliche oder rezeptionshistorische Aspekte. Zusammengenommen ergibt dies ein lebendiges Haydn-Bild über Leben und Musik des Esterházyschen Kapellmeisters, auch wenn man jeden einzelnen Artikel ebenso für sich lesen kann. Es bleibt nur ein Wunsch offen: die Antwort auf die Frage, wann die Folgebände erscheinen.
Klemens Fiebach