Faul, Marcus (Hg.)

Harald Genzmer Werkverzeichnis

(GeWV)

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 01/2012 , Seite 61

Der zeitliche Abstand zum 20. Jahrhundert vergrößert sich stetig, und selbst die weitgehend historisch orientierte Musikwissenschaft muss sich zunehmend mit den damals entstandenen, aber immer noch als „zeitgenössisch“ oder „modern“ empfundenen Schöpfungen befassen. Die „Geschichtlichkeit“ eines Komponisten zeigt sich durch die systematische Dokumentation seines Gesamtschaffens in einem Werkverzeichnis, das nicht zuletzt künftigen Forschungen als Basisinformation dienen soll. Die oftmals außerordentlich komplizierte Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte früherer Epochen findet man nach 1900 kaum mehr, weil das Copyright der Verbreitung nun enge Grenzen setzt; überdies mangelt es der Neuen Musik meistens zu sehr an Popularität, als dass ein Raubdruck sich geschäftlich rechnet.
Mit Harald Genzmer (1909-2007) wird nun das Lebenswerk eines Komponisten dokumentiert, bei dem der handwerkliche Aspekt eine wesentliche Rolle spielt – sicherlich eine Folge des Unterrichts bei Paul Hindemith. Genzmer gehörte auch nie zur Avantgarde, sondern wahrte immer die Verbindung zur traditionellen Musik: „Verständlich“ und „praktikabel“ sollten seine Werke sein, und dementsprechend groß ist darunter der Anteil, der auch von Laien aufgeführt werden kann und sozusagen „musikschultauglich“ ist (hinzu kommen noch pädagogische Stücke).
Zu seinem Selbstverständnis gehörte wohl auch die immense Produktivität: Marcus Faul weist 437 Werke nach (bei der Vokalmusik vielfach aus mehreren Vertonungen bestehend), zu denen noch 25 Entwürfe und Skizzen zu rechnen sind. Bis auf die Oper ist dabei so ziemlich alles vertreten, wobei der Schwerpunkt aber eindeutig auf der Kammermusik in den unterschiedlichsten Besetzungen und den konventionellen Formen der Vokalmusik (Chöre und Sololiteratur) liegt.
Das Verzeichnis ist systematisch nach Gattungen und Besetzungen gegliedert, wobei die Kompositionen innerhalb einer Werkgruppe chronologisch angeordnet sind. Neben aussagekräftigen und hervorragend gesetzten Notenincipits beschränkt sich der Verfasser auf wenige, knapp formulierte Grundinformationen: Titel, Satzbezeichnungen, die Textquellen bei der Vokalmusik, genaue Besetzung, Entstehungsjahr, Spieldauer, Uraufführung (nicht immer bekannt) und – falls veröffentlicht – der Verlag (mit Bestellnummer, aber ohne Erscheinungsjahr). Dass eine akribische Beschreibung der Autografe samt Fundorte sowie Zitate weiterer Quellen (beispielsweise Briefe), wie man dies aus den Werkverzeichnissen vieler früherer Komponisten kennt (etwa bei Ludwig van Beethoven oder Robert Schumann), hier entfallen musste, ist verständlich – die Publikation wäre sonst mindestens um das Dreifache angewachsen. Dennoch wären wenigstens gelegentlich zusätzliche Kommentare hilfreich gewesen.
Georg Günther