Ott, Karin und Eugen

Handbuch der Verzierungskunst in der Musik

Band 7 Streichinstrumente

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ricordi, München 2010
erschienen in: das Orchester 11/2010 , Seite 68

Über Jahrhunderte waren Verzierungen bis hin zur Improvisation das Salz in der Suppe der musikalischen Interpretation. Notation war dabei meist nur als Hilfestellung oder Vorschlag zu verstehen. Erst sehr spät wollten Komponisten sichergestellt wissen, dass es bei der Wiedergabe ihrer Werke „authentisch“ zugeht – sprich: nur das erklingt, was sie beabsichtigt hatten. So verschwand die Kunst der Verzierung weitgehend aus dem Repertoire der Interpreten und wurde Teil des Kompositionsprozesses selbst. Ironischerweise trat die Frage nach der Praxis der Verzierungen vergangener Jahrhunderte dann wieder um so stärker in den Vordergrund, als sich vor allem in der Barockmusik die historische Aufführungspraxis durchsetzen konnte; diese nimmt ja zunächst für sich in Anspruch, besonders nahe an der Quelle der Authentizität zu sein – und muss damit die Subjektivität heutiger Musiker zumindest stark einschränken.
Doch wie soll es einem Instrumentalisten oder Sänger heute gelingen, so zu improvisieren und verzieren, wie es ein Musiker vor 300 Jahren aus dem historischen Kontext heraus ganz selbstverständlich tat? Zum Glück liegen uns nicht nur zahlreiche Instrumentalschulen, Unterrichtswerke oder einschlägige Schriften vor, die sich dem Thema Verzierung widmen. Zusätzlich kann man aus der Art, wie Komponisten ihre Werke notiert haben und wie diese weiter überliefert wurden, Rückschlüsse ziehen. Dabei sind zwei wesentliche Koordinaten zu berücksichtigen: die Zeit und der geografische Wirkungskreis.
Hier setzen Karin und Eugen Ott in ihrem siebten Band des Handbuchs der Verzierungskunst an, der sich den Streichinstrumenten widmet. Vom Frühbarock bis ins 20. Jahrhundert hinein untersuchen die Autoren auf rund 700 Seiten die Entwicklung der Verzierungen, beleuchten regionale, gattungsspezifische oder auch persönliche Eigenheiten und tragen eine Vielzahl von Notenbeispielen zusammen, die der Veröffentlichung einen enzyklopädischen Wert an sich zukommen lassen. Gleichzeitig ist das aber auch die Hauptschwachstelle von Karin und Eugen Otts Handbuch: Weder stellen sich die Autoren einer musikwissenschaftlich-systematischen Aufarbeitung des betrachteten Themenkomplexes noch liefern sie praktische Anweisungen in Form einer „Schule der Verzierung“.
Gewiss, Beispiele mögen dazu dienen, von der Theorie des Notentextes in die Praxis der Wiedergabe überzuleiten, doch hätte man sich schon den einen oder anderen Hinweis gewünscht, wie das in unzähligen Notenbeispielen Dargestellte nun auf die Praxis zu übertragen sei. Die Veröffentlichung dieses letzten Bandes des Handbuchs der Verzierungskunst als CD-ROM nutzt zudem eine sehr offensichtliche Chance des Mediums nicht: Um wie viel überzeugender und eindrucksvoller hätte die Darstellung ausfallen können, wäre der (Noten-)Text durch Musikbeispiele ergänzt worden. So bleibt es bei einer simplen, PDF-basierten Wiedergabe des Buchtextes, weil vermutlich die hohen Druckkosten gescheut wurden.
Daniel Knödler