Ligeti, György
Hamburgisches Konzert
für Horn solo und Kammerorchester (mit zwei Bassetthörnern und vier obligaten Naturhörnern), Studienpartitur
Mit dem Hamburgischen Konzert unterstreicht György Ligeti seine Ablehnung der tonalen Chromatik sowie der wohltemperierten Instrumentalmusik. Das Horn als Soloinstrument und auch die vier Naturhörner im Orchester sind bestens geeignet für sein Vorhaben. Durch die ausgiebige Anwendung der unreinen Naturtöne entstehen neuartige Harmonien. Die unreinen Töne passen nicht in ein diatonisches Konzept, sie klingen etwas tiefer als notiert. Diese Töne wurden bisher von Bläsern entweder vermieden oder im Falle des Naturhorns mit der rechten Hand korrigiert. Mit der Einführung der Ventile im 19. Jahrhundert verschwand diese Problematik der verstimmten Töne.
György Ligeti, der Chromatik überdrüssig, will von dieser Tonalität oder Modalität weg und eine Art nicht temperierte Diatonik klangliche Realität werden lassen. Diese lässt andere harmonische Verknüpfungen zu, die sich von der westlichen historischen Tonalität unterscheiden.
Das Hamburgische Konzert, eine Auftragskomposition der Stadt Hamburg, besteht aus sieben kurzen Sätzen mit einer Gesamtspieldauer von 15 Minuten. Es wurde am 20. Januar 2001 in Hamburg uraufgeführt. Mit einer ungewöhnlichen Besetzung Solohorn, zwei Flöten, Oboe, zwei Bassetthörner, Fagott, vier Naturhörner, Trompete, Posaune, Schlagzeug und fünf Streicher erzielt der Komponist interessante Klangeffekte. Die Naturhörner produzieren ohne Benutzung der rechten Hand ausschließlich nicht temperierte Naturtöne aus der Obertonreihe. Die dadurch entstehenden Intonationsabweichungen sind mit Pfeilen an den jeweiligen Noten gekennzeichnet.
Im ersten Satz (Präludium) notiert Ligeti Quintparallelen zwischen dem solistischen B-Horn und einem Naturhorn in Es. Darunter erklingt eine Quinte der Röhrenglocken, um einen mystischen, mysteriösen Klangeffekt zu erzielen. Der letzte Akkord der Hörner wird von den Streichern übernommen und am Schluss zum Ausklingen gebracht. Im zweiten Satz (Signale, Tanz, Choral) lässt Ligeti die Hörner in verschiedenen Stimmungen spielen (F, E, Es und D). Dies ergibt zwangsläufig Clusterakkorde, die mit prägnanten Rhythmen zu einem langsamen Choral führen.
Das leicht swingende Hornsolo im dritten Satz (Aria, Aksak, Hoketus) wird von den Streichern mit parallelen Quinten und kurzen Achteln chromatisch aufsteigend begleitet. Die Holzbläser und Naturhörner folgen im Dialog. Die Hörner steigern die stürmische Musik, bis die Streicher den Satz mit einem subito p beenden. Zu Beginn des vierten Satzes (Solo, Intermezzo, Mixtur, Kanon) spielt das Soloinstrument ein ruhiges Hornsolo, gefolgt von den rhythmisch bewegten und stark akzentuierten Streichern im fff, unterlegt mit einem Ostinato der Schellentrommel. Als Kontrast spielen die Holzbläser legato im quasi-jazz-Gespräch.
Der fünfte Satz (Spektra) besteht aus einem langsamen, ruhigen Klangbrei bis auf den Schluss wo das Orchester nach einem Accelerando im vierfachen Forte spielt. Der sechste Satz (Capriccio) ist ein schneller, humorvoller Satz, der sehr stark und kräftig gespielt wird. Das Solohorn spielt extrem hoch bis zum 14. Naturton auf dem B-Horn (klingend as). Im siebten Satz (Hymnus) schweigt das Soloinstrument. Während die Streicher liegende Pedaltöne spielen, crescendieren die Naturhörner langsam von pp bis fff am Schluss.
Ligeti verwendet in diesem Werk die Obertöne für Akkordkombinationen. Ohne ein geordnetes System zu schaffen, lässt er andere, traditionsfremde Arten von tonalen Zusammenhängen in Selbstorganisation entstehen. Die Kombination von temperierten und nicht temperierten Instrumenten verschmilzt zum eigentlichen Klang mit einer reichen Auswahl an harmonischen Möglichkeiten.
Thomas Swartman