Bach, Carl Philipp Emanuel

Hamburger Sinfonien

WQ. 182

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 98.637
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 76

„Kaum, dass er einen Affekt stillt, so erregt er einen anderen, folglich wechselt er beständig mit Leidenschaften ab.“ Diese kompositorische Grundregel, formuliert in seinem Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen, hat Carl Philipp Emanuel Bach ernst genommen wie kaum einer seiner Zeitgenossen. Schmeichelt er in frühen Werken dem Hörer noch dann und wann mit unterhaltsamer Italianità, mixt er ihm später expressive Cocktails, die es in sich haben. Das Tempo jedenfalls, in dem etwa in seinen in Hamburg entstandenen Streicher-Sinfonien Gefühlszustände aufeinander folgen, ist atemberaubend.
„Indem ein Musikus nicht anders rühren kann, er sei dann selbst gerühret; so muss er notwendig sich selbst in alle Affekte setzen können, welche er bei seinen Zuhörern erregen will.“ Auch dieses eine ästhetische Richtschnur des zweitältesten Sohnes des großen Johann Sebastian. Nimmt man den Satz beim Wort, so dürfte Carl Philipp Emanuel des Öfteren schweißnass seine Komponierstube verlassen haben. Denn das Wechselbad der Gefühle, in das der Hörer etwa im ersten Satz der Sinfonie G-Dur Wq. 182 Nr. 1 getaucht wird, hat er ja zuvor selbst durchlitten. Von der eher objektiven Affektgestaltung des Barock ist diese Musiksprache daher weit entfernt. Es regiert ein beinahe schrankenloser Subjektivismus, es ist die Seelenverfassung des „Sturm und Drang“, die sich in Tönen ausspricht.
Entstanden sind die sechs Hamburger Sinfonien auf Anregung des Barons und Musikmäzens Gottfried van Swieten, der seit 1770 österreichischer Gesandter in Berlin war, aber mehrfach Reisen nach Hamburg unternahm. Carl Philipp Emanuel war bereits seit 1768, als Nachfolger von Georg Philipp Telemann, in der Hansestadt, nachdem er der Arbeit als Konzertcembalist in Diensten von König Friedrich II. überdrüssig war.
Das Stuttgarter Kammerorchester unter Leitung von Gastdirigent Wolfram Christ hat diese Werkgruppe für das Label Hänssler Classic eingespielt. Die Aufnahme entstand im Februar vergangenen Jahres in der Liederhalle in Stuttgart, das Ensemble spielt mit der Besetzung 5-4-4-3-1. Den Vergleich mit früheren Aufnahmen, etwa von Trevor Pinnock oder Christopher Hogwood, brauchen die Stuttgarter nicht zu scheuen. Ihr flexibles, drahtiges, aber auch seidiges Spiel lässt alle Nuancen dieser nervösen, an überraschenden Wendungen reichen Musik hervortreten. Kein Akzent, der nicht sorgfältig behandelt wird, keine weiche Endung, die nicht sanft abgefedert wird. Allerdings wird auch nicht flächendeckend mit dem Weichspüler gearbeitet, Kontraste wie die abrupten Abstürze von seligen Höhen in melancholische Abgründe werden nicht zugedeckt.
Novum der Aufnahme: statt eines Cembalos erklingt ein Hammerklavier als Continuoinstrument. Sebastian Küchler-Blessing, in diesem Jahr als jüngster Domorganist Deutschlands an den Hohen Dom zu Essen berufen, beschränkt sich aber nicht aufs reine Begleiten. Immer wieder streut er improvisatorische Passagen ein – und so scheint durch die Sinfonieoberfläche manchmal ein Hauch Klavierkonzert hindurch. Die Aufmerksamkeit, die dem Bach-Sohn im Jahr seines 300. Geburtstags zukommt, hat auch diese Einspielung verdient.
Mathias Nofze