Mischke, Joachim

Hamburg Musik!

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Hoffmann und Campe, Hamburg 2008
erschienen in: das Orchester 07-08/2008 , Seite 60

Die Musikgeschichte Hamburgs mit gebührender Akribie zu umreißen, mit Quellenangaben und nach jüngstem Forschungsstand – das scheint mir von einem Autoren allein kaum noch leistbar. Jedenfalls nicht, wenn man mit den Spuren aus vorreformatorischer Zeit beginnt und ihr bis jetzt und heute zu folgen gedenkt. Samt Ausblick auf die hypertrophe Zukunftsmusik der Elbphilharmonie.
Die mehrchörige Festmusik zur Einweihung der Gertrudenkapelle 1607, die „herrliche und wohlbestallte“ Kantorenmusik der Directores Sartorius, Thomas Selle und Christoph Bernhard, die Organistenkunst als „Ornamentum und Zierrat“ der Handelsstadt (dank Hieronymus Praetorius und Söhnen, Heinrich Scheidemann, Matthias Weckmann, Johann Adam Reinken, Vincent Lübeck), Aufstieg und Fall der Bürgeroper am Gänsemarkt – schon jedes dieser frühen „Kapitel“ Hamburgischer Kirchen- und Opernmusik birgt ebensoviel Mitteilenswertes wie das datenreicher ausgeforschte Leben und Schaffen der „Heroen“ des 18. Jahrhunderts, die das Musikleben zwischen Alster und Elbe prägten.
Wäre es nicht angebracht, ausgewiesene Kenner mit Einzelbeiträgen zu betrauen: Annemarie Clostermann für Telemann, Dorothea Schröder für C.P.E. Bach, Hans Joachim Marx für Mattheson, Magda Marx-Weber für Händel. Und weiter: Matthias Kornemann für Brahms, Constantin Floros für Mahler und die Swing-Kids im „Gau Hamburg“? Auch wenn dergestalt ein Sammelband unterschiedlicher Handschriften entstünde. Und kein „Lesebuch“ aus einem Guss. Was das hier anzuzeigende, emsig zusammengelesene Mosaik indes auch nicht ist. Einfach, weil sich über Hasse und HipHop, Brahms und die Beatles, Günter Wand und Bert Kaempfert nicht in ein und derselben Tonart reden lässt. Wiewohl Joachim Mischke, Musikredakteur beim Hamburger Abendblatt, hüben wie drüben eine flotte Schreibe an den Tag legt. „Ein Opernhaus mit Adam und Eva zu eröffnen, das hat was“, lautet einer seiner bildhaften Sätze.
Überhaupt kann Mischke nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm die hitzigen Love me do-Zeiten auf dem Kiez, die Eppendorfer „Karnickelhalle“ „Onkel Pö“, die Drum & Bass-Szene im gleichfalls verewigten „Mojo Club“, der florierende Katzenjammer um Cats und die Randale ums Phantom der Oper (haut)näher sind als der „große Neugierige“ György Ligeti, der „zwischen-den-Welten-Wanderer“ Alfred Schnittke und die „Schweigerin im Walde“ zu Appen bei Pinneberg, Sofia Gubaidulina. Am über 50-jährigen Auf und Ab der NDR-Reihe „das neue werk“ imponiert ihm am meisten der skandalöse Untergang von Henzes Floß der Medusa anno 1968.
Überhaupt interessieren ihn mehr die Geschichten in der Geschichte. Was sein gutes Recht ist. Erhebt er doch keinen Anspruch, wissenschaftlich und lückenlos zu sein. Der kesse Titel Hamburg Musik! lässt keine diskursive Geschichtsschreibung erwarten, sondern kurzweilige Spotlights, verstreut über knapp 400 Jahre hanseatischen Musiklebens, bei steigender Beleuchtungsintensität Richtung Gegenwart. Erzählreise zwischen Klassik, Pop et cetera. Erstmal nachmachen! Oder lieber nicht.
Lutz Lesle

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