Plissezkaja, Maija

Haltung bewahren

Zornige Aufzeichnungen einer Primaballerina Assoluta

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: das Orchester 02/2010 , Seite 65

Die Autobiografie einer russischen Ballerina, wie sie keine ihrer westlichen Kolleginnen geschrieben hat, je hätte schreiben können, keine Fonteyn, keine Chauviré, keine Farrell, aber auch keine ihrer Landsfrauen, keine Pawlowa oder Karsavina und schon gar nicht die Ulanowa, Ballett-Ikone der Sowjetunion. Das ist Maija Plissezkaja. Das heißt, es ist eigentlich der zweite Teil ihrer Autobiografie, die unter dem Titel “Ich, Maja” 1993 erschienen ist – eine Abrechnung ihrer bitteren Erfahrungen unter dem Sowjetregime. Daran knüpft das neue Buch an, das im russischen Original “Dreizehn Jahre später” heißt. Es umfasst den Zeitraum vom ersten Internationalen Ballettwettbewerb „Maya“ 1994 in St. Petersburg bis zur Gala anlässlich der Feier ihres 80. Geburtstags 2005 im Moskauer Kreml-Palast und schildert in dreizehn Kapiteln die turbulenten Ereignisse jener Jahre an der Seite ihres Gatten, des prominenten russischen Komponisten Rodion Shchedrin, als eine globale Achterbahnfahrt, die sie immer wieder zu ihrer inzwischen in München etablierten Residenz (mit Dependancen in Moskau und Riga) hat zurückkehren lassen.
Das Buch beschreibt das Leben einer selbstbewussten, attraktiven, intelligenten modernen Frau, die ständig in der ganzen Welt unterwegs ist – nachdem sie ihre aktive tänzerische Karriere beendet hat, noch immer mit Soloauftritten, als Pädagogin, Choreografin, Ballettdirektorin, Lektorin, Organisatorin von Galaveranstaltungen und als Preisträgerin höchster internationaler Auszeichnungen, inklusive des Prinz-von-Asturien-Preises und des japanischen Praemium Imperiale. Es wimmelt von internationalen Berühmtheiten, auch solchen des Adels, der Regierungschefs und des Jet-Sets und natürlich der Ballettprominenz rund um den Globus.
Plissezkaya ist eine sehr genaue Beobachterin und auch eine höchst anschauliche Porträtistin von Persönlichkeiten wie unter anderen Maurice Béjart und Yves Saint-Laurent. Gemessen an ihrem Diva-Status ist sie eine ungewöhnlich warmherzige Frau und völlig uneigennützige Kollegin, die nichts lieber tut als jungen Talenten auf die Sprünge zu helfen (darunter auch Polina Semjonowa aus Berlin). Ihre Berühmtheit hat sie allerdings nicht davor geschützt, Gaunern auf den Leim zu gehen, und mit der für unsere Vorstellungen unfassbaren russischen Bürokratie und Korruption liegt sie in einer Art Dauer-Clinch. Ihre durchaus berechtigten Vorwürfe nehmen allerdings einen derartigen Raum ein, den man lieber ihren Begegnungen mit Pina Bausch oder John Neumeier zugestanden gesehen hätte.
Ein paar Übersetzungsmerkwürdigkeiten lassen darauf schließen, dass der Job nicht unbedingt in metierkundige Hände geraten ist – so ist mir in der mir bekannten Ballettliteratur noch nie das Wort Lexique begegnet (gemeint ist wohl Vokabular), Hector Saraspe ist ein argentinischer Tänzer und heißt schlicht Zaraspe, die Chopiniana ist keineswegs eine Lady, sondern der Sammeltitel für diverse Chopin-Piècen, die bei uns unter dem Titel “Les Sylphides” zur Aufführung gelangen. Die Überfülle der Illustrationen hätte allerdings eine bessere Papierqualität verdient.
Horst Koegler