Jacobshagen, Arnold (Hg.)

Gustav Mahler und die musikalische Moderne

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Franz Steiner, Stuttgart 2011
erschienen in: das Orchester 02/2012 , Seite 64

Gustav Mahler gilt vor allem mit seinen drei mittleren Sinfonien und mehr noch mit seinem Spätwerk als wichtiger Wegbereiter der Neuen Musik. Die Wiener Schule Arnold Schönbergs ließ sich nicht unwesentlich von Mahler inspirieren und hat viel zur Pflege seiner Musik getan. Doch auch das sinfonische Schaffen von Schostakowitsch, der ästhetisch und musiksprachlich ganz andere Voraussetzung hat als die Musik des Schönberg-Kreises, ist ohne Mahler schwer vorstellbar. Die beiden Mahler-Gedenkjahre 2010 und 2011 bezeichneten damit auch das Jubiläum 100 Jahre Mahler-Rezeption vor dem Hintergrund zeitgenössischer Kompositionspraxis. Da liegt es gewiss nahe, aktuelle musikwissenschaftliche Studien zu diesem Thema vorzustellen.
Das geschieht in diesem Band, der auf Beiträgen eines musikwissenschaftlichen Symposiums vom Mai 2010 in der Kölner Philharmonie sowie der Musikhochschule aus Anlass der MusikTriennale Köln basiert. Der Titel dort war mit „Ferne Heimatklänge – Gustav Mahler und die Moderne“ etwas anders akzentuiert. Damit geht es in den hier versammelten Beiträgen auch um die Frage nach Mahlers „Heimat“ in der Musikgeschichte.
Der Bericht eines wissenschaftlichen Symposiums, so wie er hier vorliegt, bringt bei der Vielzahl der Autoren, Themen und Methoden natürlich qualitativ und inhaltlich sehr unterschiedliche Beiträge. So finden sich auch hier höchst aufschlussreiche und lesenwerte Texte, aber auch reichlich verquaste. Sind die analytischen Einzelstudien dabei nicht selten wirklich nur für musikwissenschaftliche Innenzirkel von Interesse, vermögen die biografischen Beiträge und diejenigen zur Rezeption auch ein breites, an Mahler interessiertes Publikum anzusprechen. Die Texte zur Mahler-Rezeption Schönbergs (Andreas Jacob), Karol Szymanowskis (Regina Naczinski) und Schostakowitschs (Johannes Schild) sowie der zum Wiener Musikleben der 1920er Jahre (Stefanie Rauch) sind stets kenntnisreich und bringen neue Einsichten. Gleiches gilt für die Texte von Marion Gerards zur Bedeutung der Lieder seiner Frau Alma Mahler für Gustav Mahler, zu Mahlers literarischen Vorlieben (Annette Kreutziger-Herr) und zu seinem Repertorie als Dirigent (von Herausgeber Arnold Jacobshagen).
Von den Beiträgen zur Werkanalyse überzeugen vor allem Wolfgang Steinbecks Text zu „Narrativen Strukturen in Mahlers vierter Sinfonie“, Elisabeth Schmierers Gedanken zu Mahlers zweiter Sinfonie im Kontext der Moderne und Norbert Jers’ sehr bedenkenswerte Gedanken zu dem „Vorhalt als Vorbehalt“ in Mahlers Musik. Auch Hartmut Heins Bemerkungen zu Mahlers Poetik des (musikalischen) Spaziergangs stehen für eine spezielle Sichtweise auf die Ästhetik des Komponisten und lohnen der Lektüre nicht nur für Fachleute. Leider fehlt am Ende des Bandes eine kurze Vorstellung der Autoren der einzelnen Beiträge.
Karl Georg Berg