Bekh, Wolfgang Johannes

Gustav Mahler oder Die letzten Dinge

Die Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Amalthea, Wien 2005
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 84

Um es gleich vorweg zu sagen: ein bemerkenswertes Buch. Wie bereits Wolfgang Johannes Bekhs Biografie über Anton Bruckner ist auch diese vorzüglich recherchiert, atmosphärisch geschrieben und angenehm zu lesen. Ausgehend von der für Gustav Mahler plötzlichen, erschütternden Konfrontation des Liebesverhältnisses seiner heißgeliebten Alma – seinem liebevoll genannten „Almschili“ – mit dem Architekten Walter Gropius und Mahlers darauffolgenden Zusammentreffen mit dem berühmten Psychologen Sigmund Freud im holländischen Leiden entfaltet Bekh das Leben und Wirken des großen österreichischen Komponisten.
Dabei taucht der Autor tief in das Wesen Mahlers ein und entwirft mit zahlreichen Aussagen und Beschreibungen seiner Weg- und Zeitgenossen wie u.a. Hugo Wolf, Alexander von Zemlinsky, Gustav Klimt, Hans von Bülow, Bruno Walter oder den Musikwissenschaftlern Guido Adler und Iwan Sollertinski ein ziemlich klares Bild von ihm und seiner Zeit. Zugleich kommen u.a. auch der Dichter Arthur Schnitzler zu Wort, der das damalige geistig-künstlerische Klima Wiens beschreibt, sowie Mahlers Freundin und Sängerin Anna von Mildenburg, die aus den Tagebuchaufzeichnungen und zahlreichen Briefen die Vor-Alma-Zeit mit Mahler charakterisiert. Mit eingestreut sind ausführliche Beschreibungen seiner einzelnen Sinfonien und bedeutender Lieder.
Bekh macht deutlich, wie Mahler nicht nur als Nachfahre Franz Schuberts und Anton Bruckners gilt, sondern ein wichtiger Wegbereiter der Moderne ist, ein „Ahnherr Arnold Schönbergs und Alban Bergs“. Anders als beispielsweise Hans Pfitzner oder der „Tatenmensch“ Richard Strauss, die sich von den Zeitströmungen erfolgreich haben treiben lassen, knüpfte Mahler, der „Traummensch“, bei seinen geistigen Vorfahren an „und stieß zugleich die Tür in musikalisches Neuland auf“. Dieser Hang zur Modernität gereichte Mahler zum Nachteil, von einer Rezeption seiner Werke konnte lange Zeit nicht die Rede sein. Deshalb ist seine Musik bei vielen bis heute unverstanden und provozierte einst Ernst Bloch in seiner Philosophie der Musik zu der folgenden, treffenden Formulierung: „Noch immer reichen die Ohren nicht aus, um mit diesem Großen zu fühlen und ihn zu verstehen.“
Vielleicht liegt dieses Nicht-Verstehen-Können oder -Wollen in der jahrelangen Ignoranz, in den schlimmsten Anfeindungen, ja Gehässigkeiten, mit der viele Mahlers Musik begegnet sind, ähnlich wie der Musik Dmitri Schostakowitschs, oder der tiefen Verachtung als Musik des „ewigen Juden“. Der Antisemitismus war damals, wie sich Stefan Zweig erinnert, „als giftiger Rückstand des Weltkrieges in den Blutkreislauf der Zeit eingedrungen“. Auch hier zeigt Bekh eindringlich, dass Mahlers Musik alles andere als jüdisch sei. „Es gibt überhaupt keine Märsche im Judentum, Mahlers Märsche sind Elemente österreichischer Kultur…“. Der Autor gelangt so von Lebensstation zu Lebensstation bzw. den Wirkungsstätten Mahlers. Dabei blendet er immer wieder schlaglichtartig zum Gespräch mit Freud zurück und kommt spannend, aber behutsam bis zu den letzten Dingen, der 9. Symphonie, „eigentlich nicht für die Ohren der Welt geschaffen“.
Ein leidenschaftlich und zugleich liebevoll geschriebenes, großes Buch, das zu Mahlers Leben und Welt kaum mehr Fragen offen lässt, das hoffentlich dazu beitragen wird, mit diesem ganz Großen in der Musikgeschichte des Fin de Siècle und zugleich an der Schwelle der Moderne Stehenden endlich zu fühlen und ihn zu verstehen.
Werner Bodendorff