Gustav Holst: The planets op. 32 / Colin Matthews: Pluto, the Renewer / Kaija Saariaho: Asteroid 4179 – toutatis / Matthias Pintscher: Towards Osiris / Mark-Anthony Turnage: Ceres / Brett Dean: Komarov’s Fall

DVD-Video: Interview mit Sir Simon Rattle

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EMI 0946 35938227, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 90

Gustav Holsts The Planets war die Urmutter aller Weltraum-Filmmusiken und wurde seit Entstehung des Filmgenres bis zur Unendlichkeit geplündert, teilweise bis zum engsten Plagiat. So kann es nicht überraschen, dass Dutzende Einspielungen des Werks greifbar sind. Doch Holsts Komposition ist in der hier vorgelegten Fassung nur Teil eines größeren Konzepts, des so genannten Ad Astra-Projekts.
So wurden nicht nur Holsts „Schlager“ und Colin Matthews „Ergänzung“ um Pluto, the Renewer eingespielt, sondern auch vier Auftragskompositionen, die sich in unterschiedlichem Maße mit dem Weltraum befassen. Weniger Matthias Pintscher, der Shooting-Star unter den deutschen Komponisten, mehr der Brite Mark-Anthony Turnage und die Finnin Kaija Saariaho und in noch umfassenderem Sinn der Amerikaner Brett Dean.
Um die zweite CD zu füllen, wurde eine Filmsequenz beigefügt, die aber nur auf dem PC abspielbar ist und selbst dort teilweise eher lächerlich wirkt (insbesondere die Animationen). Rattle vor einem Sternenhintergrund mag noch gerade angehen, wenngleich seine Äußerungen nicht wirklich erhellend sind und im Booklet zusammengefasst werden (wobei wesentliche Auskünfte entfallen). Andererseits ist das Booklet gerade in Bezug auf die Äußerungen der Komponisten mangelhaft, die in der Filmsequenz Essenzielles zu ihren Werken sagen, das in den Booklet-„Zusammenfassungen“ entfällt. Auch fehlen leider biografische Anmerkungen.
Auch eine exemplarische Wiedergabe des zentralen Werks ist leider nicht zu hören. Ein Vergleich mit Rattles früherer Einspielung von 1981 erweist, dass bei (sehr!) ähnlichem Grundkonzept die ältere Einspielung frischer, aber auch schärfer, in gewisser Weise archaischer klingt. Insbesondere muss betont werden, dass die Trompeten des Philharmonia Orchestra London besser eingefangen sind als jene der Berliner Philharmoniker (erster Satz, T. 137). Die von Holst geforderten Klangfarben erfordern einen äußerst imaginativen Dirigenten, der sich nicht von anderen Komponisten leiten lassen darf, sondern Holsts spezifischen Orchesterklang ausloten muss.
Immer wieder ist aber die Klangbalance und die Dynamik Holsts ein Problem: die Streicherdynamik in Takt 78 des ersten Satzes, die Klangfarbenmischung und der Einsatz der tiefen Streicher im zweiten Satz sind da Kleinigkeiten – weitaus schlimmer ist die eklatante Nichtbeachtung von Holsts Dynamikangaben in den letzten drei Sätzen: Dass weder der Gong noch die Orgel im ersten Satz zu hören sind, dass die Bassoboe und die Tenortuba vielfach in ihrer klanglichen Eigenart völlig untergehen (den fünften Satz ausgenommen) – alles dies ist nicht neu in Rattles Interpretation und erhöht nicht den Bedarf nach dieser Einspielung.
Wie wendet sich das Blatt, sobald sich Rattle für seine Zeitgenossen einsetzen kann! Hier ist er in seinem Element, das hört man gleich in Colin Matthews’ Ergänzung der Planets um eben jenen Planeten, der heute schon keiner mehr ist. Matthews kennt The Planets in- und auswendig, hat selbst Notenausgaben ediert, und so gelang es ihm wie es wahrscheinlich keinem anderen möglich gewesen wäre, Holsts Klangsprache bruchlos und kongenial in die Gegenwart herüberzutragen.
Saariahos Komposition über den Asteroiden Toutatis lässt sich als eher traditionalistisch bezeichnen, während Turnage in Ceres die ganze Vielfalt seiner kompositorischen Fertigkeiten nutzt. Doch sowohl Turnage als auch Pintscher bieten „works in progress“, Turnage einen Teil einer Trilogie, Pintscher eine Vorstudie zu einer größeren Komposition, die 2008 in Chicago unter Pierre Boulez uraufgeführt werden soll.
Brett Dean hingegen liefert vielleicht den interessantesten Beitrag der gesamten Doppel-CD, ein sowohl vom Konzept als auch der musikalischen Vielfalt her ausgesprochen überzeugendes Werk. Rattle ist hier ganz in seinem Element.
Jürgen Schaarwächter