Günter Wand
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin. Werke von Beethoven, Strawinsky, Tschaikowsky, Bruckner u.a.
Das laufende Jahr ist auch ein Günter-Wand-Jahr, ein doppeltes sogar (1912-2002). In seiner Spätzeit wirkte der Dirigent, leicht gebeugt gehend, manchmal fast etwas zerbrechlich, doch selbst ausgedehnte Werke wie die mit ihm nachgerade identifizierten Bruckner-Sinfonien leitete er in festem Stand. Diese Jahre, welche sich besonders mit der Chefzeit beim NDR Sinfonieorchester (1982-1991) decken, bilden in Günter Wands Karriere einen internationalen Höhenflug, der eigentlich nicht mehr erwartet wurde, erwartet werden konnte. Den größten Teil seines künstlerischen Lebens hatte er ja in Köln verbracht, von 1939 bis 1945 vor allem an der Oper, nach dem Krieg fast exklusiv im Konzertbereich (bis 1974). Hier wie dort stand ihm das Gürzenich-Orchester zur Verfügung, mit dem er erste Plattenaufnahmen für den Club français du disque machte. Diese Einspielungen wurden vor einigen Jahren wiederaufgelegt und sind weiterhin im Angebot. Manche von Wands Repertoire-Vorlieben (Haydn, Mozart, Beethoven) sind schon hier erkennbar. Doch sollte darüber nicht vergessen werden, dass der Dirigent sich im öffentlichen Konzertleben auch stark für zeitgenössisches Schaffen einsetzte, dem Publikum Interesse dafür regelrecht abtrotzte. Auch in seiner NDR-Zeit stand Modernes immer wieder auf dem Programm; Pars pro Toto: die Zwischenspiele aus Wolfgang Fortners Oper Bluthochzeit, deren Premiere Wand 1957 an der wiedereröffneten Kölner Oper geleitet hatte.
In einer neuen CD-Edition lässt sich bei zwei ausgedehnten Proben zu Beethoven-Sinfonien die freundlich insistierende, aber unnachgiebige Arbeitsweise von Wand (Komm, bitte noch einmal) plastisch verfolgen. Manchmal fallen die Worte Ist doch schrecklich, dann aber auch: Meine Liebe und Hochachtung für Sie
. Gemeint ist dabei das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, welches Wand bei seinem ersten Konzert 1983 noch als Radio-Symphonie-Orchester Berlin kennen gelernt hatte.
Er gab den Kontakt dann aber auf, weil er keinen Konkurrenzneid durch das sich anbahnende Engagement bei den Berliner Philharmonikern aufkommen lassen wollte. Schon die fast identischen Spielzeiten der 5. und 6. Beethoven-Sinfonie bei Aufführungen von 1992 und 1994 zeigen, dass sich konzeptionell bei Wand nichts änderte; allenfalls variiert das Klangbild. Erstaunlich ist freilich die Verve, mit welcher Wand die beiden letzten Tschaikowsky-Sinfonien oder auch Mussorgskys Bilder einer Ausstellung angeht. Da ist von Altersstil wahrlich nichts zu spüren. Andererseits gibt es keine Übertreibungen oder Exaltationen. Die vorliegende (zweite) Kassette mit DSO-Aufnahmen (sie enthält weiterhin Haydn, Mozart, Bruckner und Strawinsky) ergänzt bzw. bestätigt vergangene Urteile. Sie laufen in der Regel auf Demut vor dem Werk, aber auch Strenge bei dessen Gestaltung hinaus. Modisches oder gar Eitelkeit war Wand fremd. Er verstand sich als Sachwalter von Musik, die Partitur war für ihn unumstößliches Gesetz.
Christoph Zimmermann