Eggebrecht, Harald

Große Cellisten

Mit zwei Exkursen über große Bratschisten und 69 Abbildungen. Geleitwort von Janos Starker

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Piper, München 2007
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 77

Zwei kontrastierende Fotos auf dem Einband als optisches Entrée: Eines zeigt Pablo Casals, den Vater des modernen Cellospiels, Pfeife rauchend und in versammeltem Ernst seinem Instrument zugewandt. Darüber, glamourös lächelnd, Hände und Kinn dekorativ in die Zargenbucht des Cellos gesenkt, die 1981 geborene Sol Gabetta, Vertreterin einer Generation, der Harald Eggebrecht in seinem neuen Cellisten-Buch das an Casals’ Vita anschließende Kapitel „Sterne möglicher Cellozukunft“ widmet. Dass der Autor nicht den konventionellen Weg einer Darstellung von den Anfängen bis zur Gegenwart wählt, dass er vielmehr – nach kursorischem Gang durch die Historie – im Panorama der Cellistenwelt vor und zurück springt, Bezüge herstellt zwischen den Epochen, gehört zu den Qualitäten des von Sachverstand und Affinität geprägten Buchs. Zwar ist die Diktion des Kulturpublizisten und Nicht-Cellisten Eggebrecht vor gelegentlichen Griffen ins feuilletonistische Repertoire nicht gefeit (was wird nicht alles hineingeheimnist in das Beackern von Därmen und Stahlkabeln mittels Fingern und Pferdehaaren!), doch gelingt es dem Autor, auf der Basis zahlreicher Live-Eindrücke von Konzerten und Meisterkursen sowie genauer Kenntnis der Tonträger- und Filmdokumente eines ganzen Jahrhunderts, Künste und Eigenheiten vieler bedeutender Cellisten und Cellistinnen lebendig werden zu lassen.
Zu Recht wirft Eggebrecht einen kritischen Blick auf die junge Cellisten-Generation. Als verstörend empfindet er die „Trägheit der Jungen gegenüber dem real Erklingenden bei gleichzeitigem Feuereifer im eigenen Studium“. Anders gesagt: Der hochtalentierte und hochsubventionierte Cellostudent unserer Tage übt wie verrückt, interessiert sich aber irritierend wenig für Musik. In Gefahr, nostalgisch-verklärend in die Vergangenheit zu blicken, gerät der Autor dort, wo er das Spiel junger Cellisten als „seltsam beiläufig, unaufgeregt und ohne existentielle Dringlichkeit“ charakterisiert.
Gewiss finden wir in seinem Buch manche Cellistenvita früherer Zeit, der es an existenzieller Dringlichkeit nicht mangelte, doch räumt Eggebrecht selbst ein, dass sich heutigentags im – finanzieller Sorgen zumeist enthobenen – weltumspannenden Virtuosentum durchaus nicht nur Degeneration, sondern jenes Goldene Zeitalter des Cellos repräsentiert, das Altmeister Janos Starker einst herbeisehnte.
Eggebrechts Buch steht in der Tradition älterer Cello-Historien, geht jedoch in Umfang und Tiefenschärfe über die Werke Wasiliewskis (aus den 1920er Jahren), Bächis (1973) oder Campbells (1988) weit hinaus. Seinem Standardwerk Große Geiger hat der Autor hier ein würdiges Pendant zur Seite gestellt, dessen ironische Komponente nicht verschwiegen werden soll: Anknüpfend an die Feststellung, die Bratsche habe mittlerweile „ähnliche Attraktivität für Komponisten und Publikum erlangt wie einst das Cello“, widmet ihr Eggebrecht innerhalb seines 400-Seiten-Wälzers zwei Exkurse von insgesamt 32 Seiten Umfang…
Gerhard Anders