Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. (Hg.)

Grafenegg

Klang trifft Kulisse

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Residenz, St. Pölten 2013
erschienen in: das Orchester 11/2013 , Seite 65

Sechs Jahre können wie Jahrzehnte erscheinen. Jedenfalls ist es staunenswert, was sich seit 2007 im niederösterreichischen Grafenegg getan hat. Mitten im ausgedehnten Park des im Historismus-Stil erbauten Schlosses wurde 2007 der „Wolkenturm“ eingeweiht – eine Freiluft-Bühne, die wie eine futuristische Skulptur in den Himmel ragt. Ein Jahr später folgte der zweite Streich: In dem Areal wurde ein Konzertsaal eröffnet, das „Auditorium“. Seitdem hat sich Grafenegg zu einem vielbeachteten Klassik-Festival gemausert, das alljährlich im Sommer nicht zuletzt Orchester aus aller Welt anlockt.
Mehr noch: Im Gegensatz zur Hamburger Elbphilharmonie, die für ein unfassbares kulturpolitisches Versagen steht und der internationalen Klassikszene insgesamt bislang einen immensen Imageschaden beschert hat, geht Grafenegg als gutes Beispiel voran. Vor den Toren der traditionsreichen Musikmetropole Wien hatte man den Mut und das Vermögen, ein Ausrufezeichen zu setzen – ein musikalischer Magnet und zugleich eine geeignete neue Heimat für das hauseigene Orchester, nämlich die Tonkünstler Niederösterreich.
Diese beeindruckende Erfolgsgeschichte vor historischer Kulisse
lässt sich in dem vorliegenden Band nachlesen – oder besser: nachstöbern. Denn es sind gerade die zahlreichen großen Bildaufnahmen, die zum Blättern einladen. Die Texte wiederum gehen insbesondere auf die Geschichte des Ortes ein sowie auf die Region und natürlich das Festival. Sie vollziehen nach, wie sich ein kleiner Ort im ländlichen Raum in kürzester Zeit und überaus erfolgreich neu aufgestellt und neu definiert hat – der internationalen Kulturmetropole Wien selbstbewusst trotzend.
Zwar gab es auch schon in den Jahrzehnten zuvor Klassikkonzerte in Grafenegg, im Gartensaal des Schlosses beispielsweise oder in der Reitschule – mit Größen wie Agnes Baltsa, Edita Gruberova, Irmgard Seefried, José Carreras, Peter Schreier, Dietrich Fischer-Dieskau, Alfred Brendel oder Frank Peter Zimmermann. Aber: „Für die neuen Vorhaben reichten diese Spielstätten nicht mehr aus.“ Ein Gesamtkunstwerk ist herausgekommen, eine „Weltbühne“, wie es etwas dick aufgetragen heißt. Dass sich manches PR-lastig liest, muss man freilich in Kauf nehmen.
Natürlich hat die zitierte Journalistin Recht, wenn sie über das Festivalprogramm „charmant resümiert“: „Kraut und Rüben vom Feinsten.“
Ist nun „ein Schelm, wer Böses dabei denkt“? Nein. Es nämlich als „Konzept“ zu bezeichnen, dass unter dem künstlerischen Festivalleiter und Pianisten Rudolf Buchbinder alle Auftretenden das spielen, was sie wollen. Das ist sehr gewagt. Dafür aber punktet das Festival inzwischen auch mit Workshops und Mitmach-Konzerten, womit junges, anderes Publikum angelockt werden soll. Vor allem aber sind in dem Sammel- und Bildband eine Region, ein Ort und ein Festival zu erleben, die fraglos eine Reise wert sind.
Marco Frei