Wiedebach, Andrea von (Hg.)

Gottfried von Einem. “Du und ich sind ein Einfall”

Briefe an Andrea

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Zsolnay, Wien 2013
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 67

Der österreichische Komponist Gottfried von Einem (1918-1996) war eine produktive, umtriebige und widersprüchliche Persönlichkeit. Seine Freunde kamen aus den unterschiedlichsten Bereichen und politischen Lagern, doch der Musiker ließ sich nicht vereinnahmen. Unabhängigkeit war ihm stets ein Anliegen.
Eine bislang unbekannte, kaum weniger schillernde Seite kommt jetzt mit einem verblüffenden Buch „Du und ich sind ein Einfall“. Briefe an Andrea an die Öffentlichkeit. Darin offenbart sich von Einem als emsiger
Liebesbrief-Schreiber. Das Verstörende daran ist nicht nur, dass es sich bei der Angebeteten des verwitweten Mitvierzigers um seine 27 Jahre jüngere Nichte Andrea handelt, sondern vor allem die Hartnäckigkeit, mit der er das Mädchen wortreich bedrängt. Sie ist die Tochter der Schwester seiner verstorbenen Frau. Die Beziehung wird von der Familie nicht goutiert, weshalb der Kontakt im Verborgenen gepflegt wird.
Andrea lässt sich auf Gottfried ein, schreibt aber: „Ich will keine feste Verbindung zwischen dir und mir: Ich will nicht Deine Frau sein. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich lieb Dich nicht genügend. […] Vielleicht steckt in mir doch zu sehr das kleine Mädchen, das in dir den Onkel sieht.“
Wie kann mann die Zeilen der 17-Jährigen, die so kindlich wie verzweifelt und deutlich klingen, missverstehen? Es stockt einem beim Lesen der Atem, wenn von Einem nicht locker lässt im Streben, Andrea zu seinem Geschöpf zu machen, das ihn mit Jugend und Fröhlichkeit belebt.
Früh äußert er Heiratsabsichten. Er bietet ihr an, die Kleider seiner verstorbenen Frau zu tragen. Er buhlt: „Du bist verschont, soweit es mich betrifft, von jeder Geilheit, ich kann Dich aber nicht verschonen von dem Ernst meiner Absicht.“ Später räumt er ein: „Dass der Untergrund die erotische Beziehung sein muss, ist klar.“ Er jammert: „Was ist es, das dich stört. Mein Alter? Mein Aussehen? […] Mein Geruch?“ Dann schreibt er in der für ihn typischen Haken schlagenden Weise: „Ich will kein Opfer, kein Mitleid. (Obwohl jedes gemeinsame Leben Opfer voraussetzt.)“ Schließlich wird er autoritär: „Dass Du und ich es miteinander versuchen müssen und versuchen werden, scheint Dir nicht aufzuscheinen.“
Dieses Wechselbad der Töne ist die Matrix für jeden der knapp 400 Briefe von 1962 bis 1965. Sobald das Entsetzen über die Zudringlichkeit gewichen ist, langweilen sie. Nur am Rande erwähnt von Einem Ereignisse aus seinem künstlerischen Leben. Stattdessen immer wieder Beschwörungen à la „Wir sind für einander gemacht“. Poesie findet man weniger bei einem Briefeschreiber, der sich schon mal mit „der Esel“ verabschiedet. Gottfried von Einem hatte Andrea – heute von Wiedebach – die Erlaubnis gegeben, die Briefe zu veröffentlichen, um seine Liebe publik zu machen. Trotzdem bleibt der Beigeschmack, hier dem Exhibitionismus einer Besessenheit ausgeliefert zu sein, die besser privat geblieben wäre.
Christina Hein