Moss, Piotr

Giuseppes Zirkus

Musikalisches Märchen nach dem Text von Jean-Louis Bauer

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello COV 70405
erschienen in: das Orchester 05/2005 , Seite 86

Auf dem Cover prangt rotlippig ein dickliches androgynes Kind neben einer Sammlung von Anstecknadeln; ein Mann mit Sonnenbrille lugt ins Bild. Ratlosigkeit. Wo ist der Bezug zum Thema „Zirkus“? Wo der zu dem avisierten „musikalischen Märchen“? Die Perplexion wächst beim Hören: Für welche Adressaten ist dieses Machwerk gedacht, diese unselige Mixtur aus Märchen, Fantasy, Reality und Cruelity? Selbstkritisch misstraue ich meinem womöglich vorschnellen Urteil und beschließe, die vermeintliche Zielgruppe zu befragen. Sechs Kinder (8 bis 14 Jahre), mit der Institution Konzert hinlänglich vertraut, hören mit mir gemeinsam das Stück. Kinder haben ein untrügliches Sensorium für falsche Töne. Die sind hier allerdings nicht in der Musik selbst zu finden: Piotr Moss, 1949 in Polen geboren, bietet nichts Außergewöhnliches, nichts Schräges, nichts Neues. Er kann instrumentieren und zitieren (Mussorgsky, Strauss, Ravel…), und der Einsatz von Donnerblech, verstimmtem Klavier und ein wenig Elektronik führt zu hübschen tonmalerischen Effekten. Über allen Zweifel erhaben: die Magdeburgische Philharmonie unter ihrem GMD Gerd Schaller. Tadellos.
Nein, nicht in der Musik findet man die falschen Töne, wohl aber im Text, und darauf reagieren Kinder seismografisch genau und ohne Pardon. Sie fühlen sich nicht ernst genommen, und das ist in der Tat schlimm. Die Handlung: Ein elternlos gefundener Giovanni, ein Feuer im Zirkus und ein verschwundener Giovanni. Ein Schutzengel, der mit seinem Schutzbefohlenen in den Himmel fliegen muss, um eine neue Latzhose zu holen. Sehr witzig!? Dann aber verliert der Himmelsbote seinen Schützling unbemerkt, und hier spätestens hört der Spaß auf. Nach solchem Schwachsinn lohnt es sich, bei Paul Gerhardt zu blättern, der beiden näher war, dem Kind und dem Engel: „Breit aus die Flügel beide…“
Sehr eklig gehts zu in diesem Antizirkus mit Röcken aus lebenden Robbenbabys, mutanten Ratten und anderen Scheußlichkeiten, denen nur mit einem Laserstab beizukommen ist. Und zum Schluss nimmt denn alles ein glückliches Ende, mit Liebe und so. Ach ja, diese Geigen…
„Für wen ist das Stück wohl geschrieben?“, haben wir uns gefragt. „Unlogisch ist die Geschichte und albern“, sagen die älteren Kinder, „eklig dieser Schauerzirkus“ die jüngeren. Wohlgemerkt: nur die Geschichte. Die Musik ist „nicht schlimm“. Mag ja sein, dass Jean-Louis Bauer seine abstruse Story auf die Spezies der Computerkids zugeschnitten hat. Die allerdings werden ihm keine 56 Minuten und 20 Sekunden zuhören können. Ein Glück. Also noch einmal: Für wen ist dieses „mit freundlicher Unterstützung der französischen Botschaft und der Beauftragten für deutsch-französische kulturelle Angelegenheiten in Sachsen-Anhalt“ produzierte Stück geschrieben? Und warum?
Bärbel Becker