Rosselli, John

Giuseppe Verdi

Genie der Oper. Eine Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. H. Beck, München 2013
erschienen in: das Orchester 10/2013 , Seite 63

Der Beck-Verlag ist bekannt für gediegene Biografien auf dem Stand der Wissenschaft. So greift man erwartungsvoll zur Verdi-Biografie, von Rosselli im Jahr 2000 verfasst, jetzt erstmals in deutscher Übersetzung und vom Verlag mit Superlativen beworben („meisterhaft“). Nach der Lektüre ist man etwas ernüchtert und fragt sich, warum C. H. Beck der stattlichen Reihe von Original-Biografien keine eigene, neue, bessere an die Seite gestellt hat.
Man merkt dem Autor an, dass er nicht vom Fach ist: Rosselli war Historiker und Journalist und zitiert zur Musik in vielen Fällen bewährte ältere Quellen, lässt jedoch profunde eigene Deutungen vermissen. So entdeckt er im Dies irae des Requiems „chorale Niagarafälle und Offbeat-Paukenschläge“ („choral Niagara and offbeat strokes on the bass drum“ – „drum“ meint übrigens Trommel). Hier hat also der Übersetzer eingegriffen, dem man – bei aller kreativen Freiheit im Umgang mit dem oft sperrigen englischen Original – ebenfalls anmerkt, dass er nicht vom Fach ist. Auf sein Konto gehen Fehlleistungen wie „Halbstaccatotöne“ („semi-staccato tones“, was zweifellos etwas anderes meint); oder „Holzbläserpizzicato“ („woodwind-cum-pizzicato“ – entscheidend ist hier das relativierende „cum“; nur Streicher können zupfen)! Zurück zum Autor: Rätselhaft bleibt seine Aussage über „das beliebige Rossini’sche Crescendo“ (original „arbitrary“). Und was bitte ist „das Moussierende bei Rossini“? Schließlich hätten wir doch gern einen Beleg für eine so fundamentale Aussage wie „[Verdi] scheint ein beträchtliches Maß an rubato zugelassen zu haben“. Jagos „Credo“ im Otello – Boitos geniale Hinzufügung zu Shakespeare – hält Rosselli für „fragwürdig“, wie er überhaupt bei Otello „ein leichtes Unbehagen“ empfindet. Diese Oper scheint der Autor schlicht nicht verstanden zu haben, wie käme er sonst zu seiner Aussage: „[Verdis] Werke verliehen der Liebe als Leidenschaft eine unvergleichliche Stimme – fast ohne jeden Anflug von Sinnlichkeit“. Im Klappentext heißt es, Rosselli habe „Verdis Lebensweg ein wenig vom Rankenwerk der Legenden befreit“, doch das bezieht sich nur auf einige neu entdeckte unsympathische Charakterzüge und vor allem auf diverse, recht spekulative Frauengeschichten: „Was sein Sexualleben angeht, so besitzen wir lediglich Andeutungen“; hier hat der Übersetzer das Original verschärft, denn dort heißt es: „About the reality we have no more than hints.“
Hinzu kommen redaktionelle Ungenauigkeiten, darunter einige falsche grammatische Bezüge und inhaltliche Irrtümer. Die berühmte Pariser Oper wird zur „Opéra-Granier“ (statt Garnier); in Bezug auf die Mailänder Scala ist wenige Zeilen später vom „venezianischen Publikum“ die Rede. Und „Mauerschwalben“ gibt es nicht, allenfalls Mauersegler; das Original spricht lediglich von „swallow“ (Schwalben). Fazit: Man kann sich hier über Verdis Leben informieren und erfährt einiges zur Musik. Ältere Biografien (Budden, Walker) aber bieten mehr.

Arnold Werner-Jensen