Kienzle, Ulrike
Giuseppe Sinopoli
Komponist Dirigent Archäologe. Band 1: Lebenswege, Band 2: Porträts
Verdis Aida sollte seine Schicksals-Oper werden. Giuseppe Sinopoli dirigierte sie erstmals am Anfang seiner Karriere, 1976 in Venedig. Dort wurde er am 2. November 1946 geboren. Während einer Vorstellung von Verdis Aida in der Deutschen Oper Berlin ist Sinopoli am 20. April 2001 tot zusammengebrochen. Verdi gehörte Sinopolis besondere Aufmerksamkeit. Mit Verdi hat er in London, Hamburg und Berlin Furore gemacht und ist ein Star geworden. In Dresden hat er als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, die ihn überaus liebte, seine Karriere beendet. Neun Jahre lang hat er dort immer wieder die musikalischen Sterne vom Himmel geholt.
Menschlich-musikalische Höhenflüge überschreibt denn auch Ulrike Kienzle dieses letzte Lebenskapitel Sinopolis, jenes Italieners, der sich so wenig italienisch fühlte. Die Autorin stellt in ihrer monumentalen Biografie Sinopolis kompositorische Nähe zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, seine Kindheit in Venedig und Messina, seine Studienjahre in Venedig und Wien (bei Hans Swarowski), seine Karrierestationen London, Hamburg, Berlin und Dresden, aber auch seine professionelle Leidenschaft für die Archäologie dar, die seine Neigung zur Medizin und zur Musik ergänzt. In allen drei Disziplinen ging es Sinopoli ums Menschen ausgraben. Sein Musizieren, so macht Kienzle deutlich, war alles andere als impulsiv. Er war nicht der typische, feurige Italiener, eher ein grüblerischer Interpret. Deutlichkeit bis zur Überdeutlichkeit, analytische Schärfe, bohrende Reflektiertheit und oft extreme Tempi waren das Kennzeichen seiner musikalischen Deutungen. Im geplanten dritten Band dieser Monografie wird Ulrike Kienzle darauf wohl eingehen.
Man erfährt aber auch, was Sinopoli schon in seiner Jugend auf dem Rialto-Markt in Venedig einzukaufen pflegte, wie er in Berlin kochte, welche antiken Masken und Vasen er in seinem spektakulären Haus auf Lipari sammelte und unter welchen genauen Umständen er vor zehn Jahren am Pult der Deutschen Oper Berlin zu Tode kam. Sogar seine postume Promovierung zum Doktor der Archäologie wird genauestens beschrieben.
An Gründlichkeit ist diese Sinopoli-Biografie wohl kaum zu überbieten. Rettung durch Erinnerung nennt Kienzle ihre Methode. Sie hat alles über Sinopoli gelesen, hat viele Zeitzeugen über Sinopoli ausgefragt und sie lässt Sinopoli selbst möglichst oft zu Wort kommen. Sie zitiert aus seinen Schriften, Interviews, Rundfunksendungen und Filmen. Ihr Buch ist der Versuch, aus verstreuten Zeugnissen ein Dirigentenleben akribisch genau nachzuerzählen, so wie Sinopoli als Archäologe aus Trümmern, Resten und Ruinen Gewesenes rekonstruierte. Eine Respekt einflößende Arbeit. Der separat beigefügte Fotoband zeigt den Dirigenten in all seinen
Lebensstationen, darunter sind manche nie gesehenen privaten Fotos. Ein unverzichtbares, ein konkurrenzloses und angenehm lesbares Buch für alle Sinopoli-Verehrer.
Dieter David Scholz