Eckerle, Annette

Gipfeltreffen

Erstmalig treffen sich alle Orchester von Rheinland-Pfalz zu einem "Orchestergipfel"

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 28

Auf Initiative des Landesmusikrates Rheinland-Pfalz findet am Sonntag, dem 16. Juni 2013, in Mainz ein großer Orchestergipfel aller fünf Orchester des Landes Rheinland-Pfalz (Kaiserslautern, Koblenz, Ludwigshafen, Mainz und Trier) statt. Bei Veranstaltungen und Aktionen im gesamten Innenstadtgebiet von Mainz sollen sowohl die Vielfalt der einzelnen Klangkörper wie die vereinte Kraft der Musik in Rheinland-Pfalz für das Publikum erlebbar werden. Neben dem Orchester des Pfalztheaters Kaiserslautern beteiligen sich an diesem Aktionstag die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Ludwigshafen, das Staatsorchester Rheinische Philharmonie Koblenz, das Philharmonische Staatsorchester Mainz und das Philharmonische Orchester der Stadt Trier. Annette Eckerle hat mit der Kulturministerin Doris Ahnen und dem Präsidenten des Landesmusikrates Rheinland-Pfalz, Peter Stieber, über die Idee dieses Aktionstags gesprochen, über Ziele, Hoffnungen und Wünsche, die damit verbunden sind.

Frau Ministerin Ahnen, am deutschlandweiten „Tag der Musik“ finden sich in Ihrem Bundesland Orchester zum „Orchestergipfel“ zusammen. Wie bewerten Sie diese Aktion auch im Hinblick auf die vielerorts in Deutschland diskutierte Frage von Orchesterschließungen oder -fusionen?

Orchester haben bei all ihrer kreativen Arbeit auch die Aufgabe, für sich zu werben, Publikum anzusprechen und neue Zuhörerinnen und Zuhörer zu gewinnen. Mit einem Orchestergipfel nehmen sie die Gelegenheit wahr, ihr Schaffen einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und gemeinsam auf ihre kulturelle Bedeutung, aber auch auf die künstlerischen Leistungen jeder einzelnen Institution aufmerksam zu machen – und dies ganz unmittelbar. Dass sie so direkt auf ihr Publikum zugehen, finde ich ein wichtiges Signal. Zu einzelnen Orchesterschließungen oder -fusionen in anderen Ländern kann ich mich natürlich nicht äußern. Aber es ist kein Geheimnis, dass sich die Haushaltslage vielerorts angespannt darstellt und sich somit oft ein Spannungsfeld ergibt zwischen dem, was künstlerisch wünschenswert ist, und dem, was sich auch finanzieren lässt. Rheinland-Pfalz hat bereits vor einigen Jahren eine Orchesterstrukturreform durchgeführt, die vor allem auf eine stärkere Kooperation der vom Land getragenen Staatsorchester Ludwigshafen, Koblenz und Mainz zielte, ohne dass die Schließung eines Orchesters notwendig wurde oder Orchester miteinander fusionieren mussten. Im Gegenteil: Konzert- und Theaterbesucher finden nach wie vor ein anspruchsvolles und vielfältiges kulturelles Angebot der Orchester vor und mit diesem präsentieren sie sich nun auch auf dem Orchestergipfel.

Die Initiative zu diesem Orchestergipfel ging vom Landesmusikrat Rheinland-Pfalz aus. Wie eng ist die Zusammenarbeit mit dem Land Rheinland-Pfalz bisher?

Der Landesmusikrat ist als Dachverband für das rheinland-pfälzische Musikleben ein kompetenter und geschätzter Dialogpartner des Ministeriums, der mit Landesmitteln gefördert wird und dessen Vorstellungen und Ideen zu musikpolitischen Fragestellungen auch gehört werden, beispielsweise im Zusammenhang mit der Musikerziehung in Kindergärten und Schulen sowie der Ausbildung in Musikberufen. In diesem Jahr hat der Landesmusikrat zudem die Trägerschaft für alle Landesjugendensembles und Jugendmusikwettbewerbe übernommen und wurde dafür vom Land zusätzlich mit rund 300 000 Euro unterstützt.

In welcher Form unterstützt das Land Rheinland-Pfalz respektive Ihr Ministerium diesen Aktionstag?

Schon die Tatsache, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer die Schirmherrschaft übernommen hat, macht deutlich, dass die Landesregierung den Orchestergipfel richtig und wichtig findet. Auch indem sich die vom Land geförderten Orchester beteiligen, unterstützen wir den Orchestergipfel. Mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, der Rheinischen Philharmonie und dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz nehmen drei in der Trägerschaft des Landes befindliche Orchester aktiv am Gipfel teil. Als indirekten Beitrag kann man sicher auch die finanzielle Förderung des Landesmusikrats werten, die ich schon angesprochen habe.

Welche Ziele, welche Hoffnungen verknüpfen Sie als Kulturministerin des Landes mit diesem „Tag der Musik“ in Rheinland-Pfalz?

Musik steht uns ja heute mit den modernen Medien nahezu uneingeschränkt zur Verfügung. Das Angebot ist dabei völlig unüberschaubar geworden. Im Unterschied zu zurückliegenden Jahrhunderten hat die akustische Wahrnehmung damit für uns einen großen Wandel erfahren. Mit dem „Tag der Musik“ sehe ich eine Möglichkeit gegeben, sich wieder bewusster mit der Musik und ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert auseinanderzusetzen. Der Orchestergipfel bringt Musik als unmittelbares Erlebnis nahe und ermöglicht die großartige und wichtige Erfahrung, Musik und die Menschen, die sie hervorbringen, live zu erleben.

Muss möglicherweise deutlicher gemacht werden, welche Aufgaben Orchester heute im gesellschaftlichen Leben einnehmen?

Die Aufgaben sind heute meines Erachtens weitgehend klar definiert. Zum einen geht es natürlich um das Konzertieren und das musikalische Gestalten von Musiktheateraufführungen. Daneben stellt aber nicht zuletzt die kulturelle Bildung einen eigenständigen Aufgabenbereich dar, der mir als Bildungs- und Kulturministerin natürlich besonders am Herzen liegt. Den Schwerpunkt stellen hier vor allem die Jugendprojekte. Die rheinland-pfälzischen Orchester, aber natürlich nicht nur sie, leisten hier seit Jahren erfolgreiche Arbeit. So erhielt die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz etwa für ihr Musikerziehungsprogramm Listen To Our Future schon mehrere Auszeichnungen und wurde 2008 beim Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“ prämiert. Auch das Philharmonische Staatsorchester Mainz wurde 2012 für seine kulturelle Bildungsarbeit ausgezeichnet. Immer stärker ist im Bereich der kulturellen Bildung bei den Orchestern dabei eine Öffnung gegenüber allen Altersgruppen festzustellen. Mit dem „Orchester der Generationen“ hat beispielsweise die Rheinische Philharmonie ein Projekt auf den Weg gebracht, das Profis und Amateure zusammen in einem Orchester musizieren lässt. Das jüngste Mitglied dieses Orchesters war sieben Jahre alt, das älteste 89 Jahre. Die Frage des demografischen Wandels unserer Gesellschaft wird zukünftig sicher ein stärkeres Gewicht im Rahmen der kulturellen Bildung bei den Orchestern erhalten. Insgesamt ist mein Eindruck, dass die Orchester gute Sensoren haben für die sozialen Entwicklungen unserer Zeit und dass sie in der Lage sind, diese auch in ansprechende Programme zu übersetzen.

Herr Stieber, wie ist die Idee zum Orchestergipfel entstanden und von wem ging die Initiative aus?

Im Präsidium des Landesmusikrats Rheinland-Pfalz hat sich vor etwa vier Jahren eine Orchesterkommission gebildet, mit dem Ziel, die fünf professionellen Orchester des Landes zum Dialog einzuladen und ihre Interessen zu unterstützen. Hieraus entwickelte sich die Idee, mit einem spektakulären Orchestertag auf die Vielfalt, Attraktivität und die kulturelle Verwurzelung der Orchester im Land aufmerksam zu machen. Das war quasi die Geburt des Orchestergipfels.

Was ist die Intention, das Ziel, das sowohl Sie als auch alle Beteiligten mit dem Orchestergipfel verbinden?

Dem Landesmusikrat Rheinland-Pfalz kommt es darauf an, in der Bevölkerung, aber auch in der Politik eine Sensibilisierung für den hohen kulturellen Wert der Orchester herbeizuführen. Es muss das Bewusstsein gefördert werden, dass die Orchester des Landes wertvolle Einrichtungen sind, die nicht nur ihre Kernaufgaben als Opern- und Konzertorchester erfüllen, sondern darüber hinaus einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zur kulturellen Identität eines Bundeslandes und der Nation leisten. Beispielsweise ist die Erziehungsarbeit mit den Education-Programmen bei jedem Orchester heute fester Bestandteil der Aufgabenstellung. Und die Begegnung mit den Kindern und Jugendlichen führt auf beiden Seiten zu wichtigen Impulsen und Erfahrungen.

War es schwer, die Orchester für diese Idee zu gewinnen, oder hat der Musikrat Rheinland-Pfalz damit die berühmten offenen Türen eingerannt?

Zuerst einmal war schon etwas Verwunderung zu spüren, denn die Orchester sind traditionell eher „Einzelkämpfer“ und die Solidarisierungsidee untereinander ist noch nicht so weit verbreitet. Aber wir konnten sehr schnell vermitteln, dass ein gemeinsames Projekt die Orchesterlandschaft insgesamt stärken würde, weil sich jedes Orchester an diesem „Tag der Musik“ auf vielfältige Weise in Mainz präsentieren kann.

War das Kulturministerium Rheinland-Pfalz von Beginn an mit im Boot?

Das Kulturministerium war von Beginn an informiert und signalisierte uns sofort Unterstützung. Das gab uns Rückenwind, zumal ja alle mitwirkenden Orchester auch staatlich gefördert werden. Außerdem hat die neue rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, Malu Dreyer, die Schirmherrschaft übernommen, was uns sehr freut.

Wie wird dieser Aktionstag finanziert?

Den Löwenanteil der Kosten tragen die Orchester dadurch selbst, dass alle Dienste und Proben in die eigenen Planungen integriert wurden. Auch die Orchesterensembles, die in unterschiedlichen Formationen den Nachmittag bestreiten, spielen überwiegend zum Selbstkostenpreis. Dennoch kostet dieser Orchestergipfel eine Menge Geld, angefangen von der komplizierten Organisation mit rund 20 Spielorten in der Stadt bis hin zum Catering für die Mitwirkenden und den Marketingaktivitäten. Der Landesmusikrat könnte ein solches Projekt niemals allein stemmen; deshalb sind wir dem Chemiekonzern BASF überaus dankbar, dass wir mit einer großzügigen Summe für dieses Projekt bedacht werden. Ich bin seit vielen Jahren Partner der BASF auf unterschiedlichen Ebenen und hege tiefen Respekt und Dank für deren große Unterstützung der Kultur, vor allem der Musik. Für mich eine geradezu vorbildliche Mitarbeit am Gemeinwesen Deutschland. Darüber hinaus unterstützt den Orchestergipfel auch die GVL, die Stiftung Rheinland-Pfalz Bank, die Landeshauptstadt Mainz, und natürlich profitieren wir auch von der Grundsicherung des Landesmusikrats durch Lotto Rheinland-Pfalz.

Wie ist das Programm entstanden? Dauer der Vorbereitung – praktisch von der ersten Idee bis zum fertigen Projekt?

Insgesamt planen wir das Projekt jetzt seit rund drei Jahren. Ursprünglich war es für 2012 vorgesehen, wir mussten aber verschieben, weil zwei große Veranstaltungsorte plötzlich doch nicht zur Verfügung standen. Es gab für die Orchester von Anfang an keine inhaltlichen Vorgaben. Nur formale Kriterien wurden gesetzt; so sollen die abendlichen Programme eine Dauer von 25 bis 35 Minuten nicht überschreiten, damit viele Menschen von Konzertort zu Konzertort wandeln und alle fünf Orchester erleben können.

Ist diese Aktion auch als ein Statement zu verstehen in Anbetracht der vielerorts in Deutschland schon aufgelösten oder bedrohten Orchester oder den in wenigen Jahren fusionierten Orchestern, wie den beiden Orchestern des SWR?

Ja, es hat sicherlich auch damit zu tun. Deutschland hat die reichste und dichteste Orchester- und Opernlandschaft der Welt, und diese gilt es zu bewahren und zu schützen. Menschen aus allen Regionen der Erde, ob China, Japan oder Nordamerika, beneiden uns um dieses großartige Kulturleben. Hier verfügen wir über ein Alleinstellungsmerkmal, das Deutschlands Ansehen in der Welt erheblich stärkt. Dass es aber nicht überall in Deutschland gelingt, die Orchester zu erhalten, mussten wir in den vergangenen 25 Jahren mehrfach schmerzlich erleben, vor allem in den neuen Bundesländern. Aber auch in Rheinland-Pfalz gab es eine Orchesterstrukturreform, die nicht nur zum Segen der Musikkultur des Landes beigetragen hat. Insofern sind die Landesmusikräte und der Deutsche Musikrat gleichermaßen dazu aufgerufen, sich als Lobbyisten und Hüter der Orchesterkultur einzubringen.

Ist dieser Orchestergipfel eventuell auch als Initiale gedacht für Vermittlungsprojekte darüber, welche Aufgaben Kulturorchester im gesellschaftlichen Leben heute einnehmen?

Ja, unbedingt. Wie ich schon erwähnte, ist dieser „Tag der Musik“ eine gute Gelegenheit die Bandbreite der heutigen Orchesterarbeit vorzustellen. Deshalb werden auch die Education-Projekte und die Arbeit der Kleinensembles ein wichtiger Teil der Präsentation sein. Die Orchester und ihre Mitglieder sind heute auf vielfältige Weise im Musik- und Kulturleben verankert. Ohne die Lehrtätigkeit der Orchestermusiker wären viele Regionen nicht gut mit Instrumentallehrern versorgt. Sehr viele professionelle Musiker engagieren sich in der Laienmusik als Dirigenten von Blasorchestern und Chören. Hier wird sehr deutlich, welche Bedeutung die Spitze für die Breite hat.

Sind für die nächsten Jahre vergleichbare Aktionen in Planung?

Vergleichbare Aktionen sind derzeit nicht geplant, aber die enge Kommunikation mit den Orchestern soll weitergeführt werden.

Ihr ganz persönlicher Blick auf die bundesdeutsche Orchesterlandschaft? Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen…

Es ist zweifelsohne Gefahr in Verzug, nicht nur für die bundesdeutsche Orchesterlandschaft, sondern für das gesamte Kulturleben in der Republik. Darüber können auch aufwändige kulturelle Prestigebauten und Hochglanzevents in den Metropolen nicht hinwegtäuschen. Die Finanzen der Kommunen sind fast durchweg in einem schlechten Zustand, und die Schuldenbremse, über deren Auswirkungen auf die Kultur wir im Moment nur spekulieren können, wird sicherlich kommen. Dennoch, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde und verfügen über einen einzigartigen Kulturreichtum. Was mich nicht sehr optimistisch in die Zukunft blicken lässt, ist die Tatsache, dass in Politik und Gesellschaft immer weniger Menschen öffentlich für Kultur und Musik eintreten. Den Sündenfall haben wir in Baden-Württemberg erlebt: Die Politik hätte mit eigenen Initiativen die Orchesterfusion im SWR verhindern können und müssen.