Henze-Döhring, Sabine / Sieghart Döhring

Giacomo Meyerbeer

Der Meister der Grand Opéra. Eine Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. H. Beck, München 2014
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 68

Als Meister der „Grand Opéra“ wird Giacomo Meyerbeer im Untertitel des Buchs der beiden Musikwissenschaftler Sabine Henze-Döhring und Sieghart Döhring, seit dem Tod von Heinz Becker 2006 die führenden Meyerbeer-Spezialisten, bezeichnet. Obwohl dieser Begriff nie von Meyerbeer als Gattungsbezeichnung verwendet wurde, macht er als Genre-Begriff Sinn zur Charakterisierung der Summe und des Gipfels der Möglichkeiten dessen, was das Musiktheater jener Zeit zu bieten hatte in Ausstattung, Bühnentechnik, Inszenierung, Gesangskunst und Orchesterbehandlung. Meyerbeers Opern waren schließlich Gesamtkunstwerke in bis dato nie gekannter Opulenz und Perfektion.
Der junge Wagner war hingerissen davon. Um so mehr verteufelte der junge ehrgeizige Komponist den erfolgreicheren Starkomponisten, als er erkannte, dass er in Paris neben Meyerbeer nicht reüssieren konnte. Meyerbeers Opern sind wie die Wagner’schen „Ideentheater“, und alle vier großen Opern Meyerbeers kreisen um das Thema Macht und Liebe, die zentralen Themen auch Wagners. Es steckt weit mehr Meyerbeer in Wagner, als die Wagnerianer auch nur ahnen!
Am Beispiel des Trios in Robert Le Diable exemplifizieren die Döhrings das Besondere der Opernkunst Meyerbeers, das darin bestand, dass zum ersten Mal in der Musiktheatergeschichte die Idee eines Werks in einer einzelnen, quasi abschließenden Nummer als Krönung der Dramaturgie dargestellt wurde: der schwankende Mann zwischen den Mächten des Himmels und der Hölle. Mozart hat kein Terzett am Ende der Zauberflöte geschrieben, mit Tamino zwischen der Königin der Nacht und Sarastro. Auch der für die Musik Meyerbeers so zentrale Begriff der „Klangidee“ als Entwicklung klanglicher Formen und Bilder aus einer stofflichen Idee heraus wird genauestens erklärt.
Entgegen aller Gehässigkeiten (antisemitischer) Meyerbeer-Verächter, die ihm pure Effekthascherei, „Wirkung ohne Ursache“ (Richard Wagner) vorwarfen, ist der Meyerbeer-Stil, so lernt man in dem klugen Buch, ein hochdifferenzierter Stil, der mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten der Theatermusik Ideen auszudrücken vermag, weshalb Meyerbeer den durchbrochenen Satz bevorzugte, also ganz bewusst nicht längere Passagen in einheitlicher Weise durchgestaltete, sondern immer wieder auflockerte, was seine Musik so überraschend, farbig und wechselvoll macht. Dem mit wissenschaftlicher Genauigkeit und unter Einbeziehung neuerer Quellen – vor allem der Briefe Alexander von Humboldts, des Briefwechsels mit Kaiser Friedrich Willhelm IV. und des Mendelssohn-Briefwechsels – verfassten, mit nützlichen Anmerkungen, Zeittafel, Bibliografie und Register ausgestatteten Buch gelingt es, auf nur 272 Seiten das Einmalige der Opernkunst Meyerbeers zu erklären, sein Leben wie seine Opern plastisch darzustellen und mitreißend zu plädieren für ein neues Interesse an diesem faszinierenden Komponisten und für eine Meyerbeer-Renaissance auf den Bühnen.
Dieter David Scholz