Pegelhoff, Ralf

Gesucht!

Kommunikationskultur für Orchester

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 04/2008 , Seite 10
Das Bild des Orchestermusikers, der seine Töne zur rechten Zeit am rechten Ort platziert, dafür eine angemessene Wertschätzung erfährt, ansonsten aber wenig zu melden hat und sich in sein Schicksal fügt, hat Risse bekommen. Es gibt eine Reihe von Kollegen, die mehr sein wollen als ein Rädchen im Getriebe, und die andere Antworten auf Konflikte und Missmanagement suchen als fruchtlose Diskussionen oder Aussitzen. Es ist immerhin ein Traumberuf, auf den jeder von uns lange hingearbeitet hat und um den es sich zu kämpfen lohnt. Die Führungsetagen unserer Orchester haben das Potenzial des kreativ mitgestaltenden Mitarbeiters noch nicht entdeckt. Die Bedingungen für gelungene Kommunikation zum Thema zu machen ist in unseren Institutionen bis jetzt ebenso wenig gelungen. Die Gründe sind vielschichtig, die Auswirkungen erheblich.

Individuelle Sozialisation
Von frühester Kindheit an werden musikalische Talente individuell betreut. Die Entwicklung in der Ausbildung, sieht man von musikalischer Früherziehung und möglichem Gruppenunterricht zu Beginn der Instrumentalausbildung ab, wird hauptsächlich durch eine „Zweierbeziehung“, nämlich die zwischen Lehrer und Schüler, geprägt. Hinzu kommen später kammermusikalische Gruppierungen und Jugendorchester, in denen auch Teamfähigkeit gefragt ist. Anerkennung erfährt der junge Musiker allerdings fast ausschließlich durch persönlich erbrachte Leistung während seiner gesamten Laufbahn, vom ersten Musikschulvorspiel bis hin zum Probespiel. Dies führt auf der einen Seite zu einer hohen intrinsischen, d.h. aus seinem eigenen Inneren kommenden Motivation, die den Musiker oft ein Leben lang begleitet, auf der anderen Seite ist die Vorbereitung auf ein Leben in einer Organisation wie einem Orchester marginal. Bei Konflikten und Frustrationen im Orchesteralltag wird somit oft eine individuelle und keine gemeinschaftliche oder gar strukturelle Lösung gesucht. Als Gegengewicht wird der Ausbau persönlicher Hobbys, Lehrtätigkeit oder Kammermusik entwickelt, manchmal auch der Weg des Orchestervorstands, Betriebsrats oder in sonstige Ehrenämter eingeschlagen, der zunächst Einfluss auf das organisationale Geschehen verspricht, manchmal aber ebenso in Frustrationen endet.
Die Ausbildung zu individuellen, hochsensiblen und hochqualifizierten Musikerpersönlichkeiten, die mit ihren Fähigkeiten ja die Basis des künstlerischen Erfolgs unserer Klangkörper bilden, steht einem Orchesteralltag, in dem Integration, Team- und Konfliktfähigkeit dringend erforderlich sind, offensichtlich diametral entgegen. Sie fördert dagegen ungewollt ganz andere Blüten.

Neidkultur kontra Kreativität
Systeme – und unser Orchester bildet ein solches System, ähnlich wie eine Familie, eine Abteilung oder ein Unternehmen – entwickeln ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dies geschieht umso beharrlicher, je länger dieses System besteht. Ähnlich einem Mobile versucht das System beständig, alle Teile in ein ausbalanciertes Gleichgewicht zu bringen, indem der sich bewegende Teil wieder an seinen alten Platz gebracht und die „alte Ordnung“ wieder hergestellt wird. Damit wird Innovation in traditionellen Strukturen schwierig.
Geradezu unmöglich wird dies durch den Vorwurf der „persönlichen Vorteilsnahme“. Begünstigt die musikalische Ausbildung einerseits hochsensible Individuen, so argwöhnisch werden andererseits jene beäugt, die durch besondere Leistungen, kreative Anregungen oder anderweitiges Engagement Ansehen entwickeln, das ihnen persönlichen Gewinn oder sogar Karriereschritte in Aussicht stellt. Viele Kollegen, auch Orchestervorstände, kennen dieses Phänomen, dass die bestgemeinten Anregungen von anderen Orchesterkollegen nicht einmal zur Kenntnis genommen werden. Damit werden nicht nur die Anregungen, sondern auch die Ideengeber entwertet. Auf diese Art und Weise wird Kreativität geradezu bestraft. Damit fehlt es längerfristig an der Bereitschaft, der Fähigkeit und dem Durchhaltevermögen sich gegen das Beharrungsvermögen von ausgedienten Strukturen und deren Nutznießern durchzusetzen.
Eine tarifliche „Belohnung“ für Verbesserungen gibt es ohnehin nicht. Das Rechnen in „Diensten“ erschwert eine Wertschätzung von Leistungen, die nicht direkt der musikalischen Produktion dienen. Nicht einmal alle Orchestervorstände trauen sich ihr tarifliches Recht auf Freidienste einzufordern, und zwar nicht aus Angst vor dem Arbeitgeber, sondern wegen des mangelnden Verständnisses und fehlender Wertschätzung durch die eigenen Kollegen. Eine bessere Ausgestaltung der dienstlichen Anrechnung von besonderen Verdiensten, sei es für die Konzeption für die Arbeit mit Behinderten, für Kindergarten- oder Schulprojekte, für besondere Ideen mit einer älter werdenden Gesellschaft, für Vorstands- oder Betriebsratsarbeit etc., ist sicher wünschenswert. Ein neuer orchesterinterner Blickwinkel für die Gestaltung von innovativen Zukunftsprojekten ist dagegen unbedingt erforderlich, auch auf anderen Ebenen.

Das Ansammeln von unguten Gefühlen
Unser Arbeitsalltag ist auf der einen Seite geprägt vom gemeinsamen Bemühen um hohe Qualität, auf der anderen Seite von kleineren oder größeren Konflikten, die das Erreichen eines gemeinsamen Ziels durchaus erschweren können. Diese Konflikte, sei es auf der persönlichen Ebene mit einem Kollegen, sei es in der Gruppe, mit der Orchesterdirektion oder dem Dirigenten, streuen Sand in das Getriebe und belasten das Betriebsklima. Viele dieser Konflikte werden zum Zeitpunkt ihres Entstehens nicht bearbeitet und heruntergeschluckt, allerdings auch gesammelt. In der Transaktionsanalyse gibt es dafür den Begriff des „Rabattmarkensammelns“. Durch das Ansammeln von schlechten Gefühlen „erwirbt man für sich die
innerliche Rechtfertigung, sie später gegen einen kleineren oder größeren Racheakt eintauschen zu können. Dieses ,Rabattmarkensammeln‘ ist sowohl für schlechte Beziehungen untereinander als auch für ein schlechtes Betriebsklima verantwortlich; denn es führt ständig zu Missstimmungen und damit zu Reibungsverlusten.“ (1) Jeder Orchesterkollege kennt Situationen, in denen sich aus einer Nichtigkeit heraus eine Auseinandersetzung von großer Emotionalität entwickelt. Bildlich gesprochen heißt das, dass auf einen Schlag ein ganzes „Rabattmarkenheft“ eingelöst wurde.
Eine andere Art des Einlösens ist das Spinnen von Intrigen oder die Bildung von Seilschaften gegen Kollegen, die sich etwas haben „zu Schulden kommen lassen.“ Damit kein Missverständnis entsteht, es geht nicht darum in jeder Situation jedem Kollegen offen die Meinung zu präsentieren. Es muss auch nicht jeder Streit ausgefochten werden. Allerdings können alle dazu beitragen, dass sich eine Kultur des „Miteinandersprechens“ und weniger des „Übereinandersprechens“ entwickelt. Konflikte haben durchaus ihr konstruktives Potenzial, wenn damit Missstände oder Missverständnisse ausgeräumt werden. Gelöste Konflikte führen zu einer verbesserten Arbeitsatmosphäre und zu einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl. Ungelöste Konflikte führen zu Entfremdung und letztlich zu Erstarrung.

Lernziel Solidarität
Solidarisches Handeln ist für Orchester keine Selbstverständlichkeit. Zu viele Konflikte und Missverständnisse, aber auch quälend lang dauernde Prozeduren innerhalb des organisatorischen Ablaufs nagen am Selbstwertgefühl vieler Kollegen, hemmen Motivation und Engagement. Da mag dem ein oder anderen durchaus die Idee kommen, dass dies von der Führungsspitze ja vielleicht sogar gewollt ist, um ein gemeinsames Auftreten gegen eben diese zu vermeiden. Es ist nicht auszuschließen, dass der ein oder andere Orchesterdirektor, Geschäftsführer oder Dirigent aus einer Konfliktsituation Vorteile zieht. Sollte dies eine längerfristige Strategie sein, ist sie allerdings mehr als kurzsichtig. Eine erfolgreiche Unternehmensführung sollte immer das Ziel haben, dass sich die Mitarbeiter für das Unternehmen einsetzen, innerhalb und außerhalb des Betriebs. Damit wird das gemeinsame Ringen und eben Solidarität der Garant für den gemeinsamen Erfolg. Dazu muss die Führungsspitze allerdings bereit sein, ihren Beitrag zu leisten.

Welche Maßnahmen verstärken das Mitarbeiterengagement?
Im Rahmen einer weltweit durchgeführten Studie von 86000 Arbeitnehmern (3000 davon in Deutschland) thematisiert die Towers Perrin Global Workforce Study (2) u.a. die Ausprägung von Mitarbeitermotivation in den verschiedenen Ländern und welche Instrumente und Prozesse das Mitarbeiterengagement steigern. Dabei kommt die Studie zu eindeutigen Ergebnissen, die in einer Liste der „Top-10-Treiber für Mitarbeiterengagement“ zusammengefasst werden:

Rang 1    > Interesse der Unternehmensleitung an den Mitarbeitern
Rang 2    > ausreichende Entscheidungsfreiheit
Rang 3    > Ruf des Unternehmens, soziale Verantwortung zu übernehmen
Rang 4    > Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten
Rang 5    > Vorgesetzter weckt Begeisterung für die Arbeit
Rang 6    > Investitionen in innovative Produkte und Services
Rang 7    > Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten
Rang 8    > Einfluss auf Produkt/Servicequalität
Rang 9    > Unternehmensleitung als Vorbild im Sinne der Unternehmenswerte
Rang 10  > hohe persönliche Standards

Damit wird auch deutlich, welch großen Einfluss das Verhalten der Unternehmensleitung und organisationale Aspekte auf die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter haben.

Unternehmenskultur für Kulturunternehmen
Der Begriff „Unternehmenskultur“ bedeutet in diesem Zusammenhang die „Summe aller gelebten Werte“ in einem Unternehmen. Ein „Wert“ in diesem Sinn ist z.B. die Glaubwürdigkeit der Führungsspitze, die Art und Weise, wie mit Mitarbeitern umgegangen wird, oder auch die Art und Weise, wie die Mitarbeiter untereinander kommunizieren. Eine Verbesserung dieser „Werte“ und damit eine Verbesserung der „Unternehmenskultur“ führt letztlich auch zu einer Steigerung der Qualität der Produkte oder Serviceleistungen. Hier schlummern ungeahnte Ressourcen für Innovationen, jenseits aller tarifpolitischer Diskussionen.

Ausblick
Auch wenn viele in der Führung und innerhalb unserer Orchester immer noch der Meinung sind, dass viele der oben genannten Punkte nicht zutreffend sind oder sich nur unzureichend auf unseren Arbeitsalltag übertragen lassen, wächst derzeit das Bewusstsein für einen anderen Blickwinkel, der gerade diese Aspekte zu zentralen Punkten der innerbetrieblichen Entwicklung von Orchestern in den nächsten Jahren werden lässt. Die hohe Resonanz auf meinen Artikel vom März 2007 (3) in dieser Zeitschrift weist eindeutig in diese Richtung.
„Stellen Sie sich vor: Sie kommen morgens durch den Personaleingang und treffen zufriedene, gut gelaunte und hoch motivierte Mitarbeiter, Orchestermusiker, die nicht über den Dienst stöhnen, Gastdirigenten und Solisten, die wegen der positiven Ausstrahlung des gesamten Betriebes gerne wiederkommen. Ein Zustand, der sich auch niederschlägt in positiver Wahrnehmung und Berichterstattung in der Öffentlichkeit und Medien.“ (4) Darum geht es, um nichts anderes.

1 Rainer Schmidt: „Immer richtig miteinander reden“. Transaktionsanalyse in Beruf und Alltag, Paderborn 2002 (3. Auflage), S. 15.
2 http://www.towersperrin.com/getwebcachedoc?
3 Ralf Pegelhoff: „Musiker als Erfüllungsgehilfe. Mangelhaft: Personal- und Organisationsentwicklung in deutschen Orchestern“, in: Das Orchester, 3/07, S. 8 ff.
4 Gerald Mertens: „Personal- und Organisationsentwicklung aus Musikersicht“, Vortrag für den Deutschen Orchestertag, gehalten am 4. November 2007 in Berlin.