Grenser, Carl Augustin
Geschichte der Musik in Leipzig 1750-1838
hg. v. Otto Werner Förster
Jeder, der sich früher mit der Musikgeschichte Leipzigs beschäftigte, musste im Lesesaal des Stadtgeschichtlichen Museums den Grenser mühsam entziffern und ist sicher manchem Fehler und mancher Ungenauigkeit des Verfassers aufgesessen. Wie sehr hätten sich alle damals das nun vorliegende Werk gewünscht! Inzwischen ist in Spezialpublikationen zum Gewandhausorchester und zur Oper alles ausgewertet und aufbereitet.
Trotzdem ist es schön, dieses durch viele Hände gegangene Manuskript jetzt leicht lesbar zur Verfügung zu haben. Das Buch besteht im Grunde genommen aus zwei Teilen. Der erste reicht von 1750 bis ca. 1820, als Grenser noch gar nicht in Leipzig war. Hier stellt er alles zusammen, was er irgendwo gelesen hat: Stadtgeschichte, Krieg, Oper, Konzert, Thomaner, schreibt Adressbücher und Programmzettel ab. Natürlich kommen viele Irrtümer in den Text. Weder stimmt der Todestag des Bach-Nachfolgers Harrer noch der von Anna Magdalena Bach. Das Mozart-Konzert 1789 wird als reines Klavierspiel bezeichnet, die Orchestermitwirkung fehlt. Dass am 17. Oktober 1813 also mitten während der Völkerschlacht Schauspiel gegeben wird, man kann es sich nicht vorstellen.
Wo liegt also das, was Grenser heute in diesem Teil noch interessant macht? Es ist die Faktenfülle. Man erfährt, welcher Sänger welche Partie wann in der Oper gesungen hat. Auch die Programme des Gewandhauses werden genau dokumentiert. Manches Detail des Umgangs der Leipziger mit ihrer Musikpflege wissen wir nur durch ihn. 1814 hatte die russische Besatzungsmacht die Theater in Dresden und Leipzig zu einer Staatsanstalt zusammengefasst. Für Grenser ist es weiterhin ein Kgl. Sächs. Schauspiel oder eine solche Oper. Ein Beweis, dass auch die Bevölkerung diese Veränderungen gar nicht richtig zur Kenntnis nahm, zumal es ja nur bis 1816 dauerte. Interessant ist die Darstellung der Musik neben der Hochkunst von Oper, Konzert und Thomanern, also der Tanzveranstaltungen, volkstümlichen Konzerte, Gartenvergnügungen etc. einschließlich aller Sonderkonzerte. Diesen Angaben kann oder muss man vertrauen, da sie nur bei Grenser zu finden sind.
Im zweiten Teil des Buchs (nach 1820) Grenser lebt in Leipzig spielt dieser Bereich fast keine Rolle mehr. Der Text widmet sich vorrangig dem Gewandhausorchester und seinem Pensionsfonds. Es geht fast nur noch um Orchesterdienste und Theaterstücke, um neue Musiker, den Abgang von Musikern und die Pensionszahlungen an diese und die Witwen. Das ist auch verständlich, denn Grenser war seit 1827 Sekretär des Orchesterpensionsfonds und er liefert hier quasi einen Rechenschaftsbericht seiner Amtszeit. Der Text bricht 1838 ab, denn kurze Zeit danach, im Jahr 1840, wird der Klangkörper zum Stadtorchester erhoben und der Pensionsfonds der Kontrolle der Stadt unterstellt. Damit war Grenser wohl die Dokumentation erschwert oder gar nicht mehr möglich.
Diese Unterschiedlichkeit des Texts wird nicht sofort verständlich, man muss sich damit beschäftigen. Ein ausführlicheres Vorwort des Herausgebers Otto Werner Förster hätte hierbei hilfreich sein können. Sich Kommentare wie bei einer kritischen Ausgabe zu wünschen, ist wohl vermessen, der Benutzer muss mit einem Personen- und Ortsregister zufrieden sein.
Gunter Hempel