Schurig, Wolfram
Gesänge von der Peripherie
für Mezzosopran (Sopran), Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Viola und Violoncello, Studienpartitur
Haben Sie schon einmal bewusst und mit Genuss an einem klirrend kalten Tag die klare Luft geatmet, die scherenschnittsauber konturierten Raureifkunstwerke an einem sich gegen den blauen, ach so blauen Himmel abhebenden, einsamen Baum auf einem Hügel bewundert? Haben Sie schon einmal in einem dunklen Wald gegen die kühle, von hinten aufsteigende Furcht angesungen, angepfiffen? Haben Sie schon einmal überlegt, wie diese Bilder und Gefühle klingen könnten?!
Wolfram Schurigs Nr. 3 seiner Gesänge von der Peripherie ist übertitelt mit abrupt kalte psyche vielleicht charakterisiert dies seine beeindruckend dichte, skalpellartig scharf Klangfarben oszillierende Komposition am ehesten, die in Miniaturen auf der Basis von Texten von Daniela Danz zu eigenen Kosmen wird. Schurig verlangt von allen Beteiligten höchste Virtuosität und Flexibilität; in seiner traditionell notierten Partitur kommen verschiedene, in der zeitgenössischen Musik überwiegend etablierte Spieltechniken zum Einsatz, die vorne (Zeichenerklärung) kurz und klar erläutert werden (so z.B. Klappenpercussion, Fingerpercussion, Luftbeimengungen etc.). Eher ungewöhnlich werden sich allerdings die Streicher partiell mit einem artifiziellen Tabulaturspiel auseinandersetzen müssen, das ausführlich dargelegt und durch Beispiele veranschaulicht wird. Hier ist der Textübergang von Seite 3 zu Seite 4 gedoppelt, was bei einer Neuauflage der Ausgabe berücksichtigt und ebenso korrigiert werden kann wie der syntaktisch unglücklich formulierte Verweis auf die Dreiviertelton-Skala im vorletzten Absatz und die Tippfehler in den Texten auf den Seiten 4 und 12. Der guten Ordnung halber sollte dann auch Daniela Danz in der Studienpartitur Erwähnung finden.
Eine der musikalischen Keimzellen der faszinierenden Klangwelt dieser Gesänge ist die Schwingungsüberlagerung als Resultat der Schichtung kleiner oder großer Sekunden, die teilweise in enger, nur durch die verschiedenen Klangfarben der eingesetzten Instrumente getrennt erscheinenden, teilweise in weitestmöglicher Lage geführt werden und energetisches Spannungspotenzial als dominantes Entwicklungsmoment generieren. Durch die fein ausgeloteten Kontrastmöglichkeiten und Instrumentenkombinationen nimmt man die Intervallstruktur allerdings eher als Farbwirkung wahr, das Flimmern als mal lyrische, mal dramatische Klangäußerung im Zusammenhang mit der Tiefenstruktur des eigentlich auf den ersten Blick eher unschuldig wirkenden Textes, dessen Abgründe sich durch die Verschmelzung und Transformation der Musik offenbaren.
Wolfram Schurigs sieben Mikrokosmen stellen für Spezialisten zeitgenössischer Musik ein hochinteressantes neues Repertoirestück für Konzerte der kammermusikalischen Extraklasse dar, das seinen Platz auf den Bühnen und Podien sicher behaupten wird. Stilistisch bewegt sich der Vorarlberger Komponist so eigenständig, dass er im absolut-musikalischen Gedanken eine individuelle Ästhetik ausgehend von der Werkbasis entwickelt. Dies macht sein Werk noch interessanter und überzeugend auch für die Rezeption durch ein größeres, nicht nur spezialisiertes Publikum.
Christina Humenberger


