Schumann, Robert

Genoveva

Oper in vier Akten op. 81

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Acousence Classics ACO-CD 20506
erschienen in: das Orchester 04/2007 , Seite 84

Spricht es gegen den Komponisten oder gegen Opernkonventionen, dass Schumanns einzige Oper, die 1850 in Leipzig uraufgeführte Genoveva, bis heute als „Schmerzenskind“ gilt? Wagner kritisierte dramaturgische Schwächen, Hanslick ein Zuviel an guter (doch un-opernhafter) Musik. Zeitgenossen hielten einzelne Szenen für unschicklich – etwa das Eindringen des Plebs ins Schlafgemach der Gräfin Genoveva, deren unentwegte Anständigkeit vielen im übrigen als eindimensional erschien. Als „unmännlich“ und widersprüchlich im Hin und Her zwischen krimineller Energie und Reueanfällen galt ihr Gegenspieler Golo, der so verbohrt in die mit Pfalzgraf Siegfried frisch verehelichte Genoveva verschossen ist, dass er sie lieber intrigant in den Tod schicken, als verheiratet (vielleicht) glücklich sehen will.
Schumanns Genoveva enthält und enthüllt bei mehrfachem Hören erhebliches musikalisch-dramatisches Potenzial, wobei Innovation und Konvention manchmal irritierend aufeinanderstoßen. Eigentlich müsste das ambitionierte Regisseure zu unkonventionell-sensiblen Lösungen provozieren. Immerhin gibt es vier ernst zu nehmende kommerzielle Einspielungen: Der 1978 publizierten, von Kurt Masur dirigierten Studioaufnahme mit Stars wie Edda Moser, Dietrich Fischer-Dieskau und Peter Schreier folgten in den 1990er Jahren zwei Konzertmitschnitte unter Leitung Gerd Albrechts und Nikolaus Harnoncourts.
Vor dieser Konkurrenz braucht sich die Aufnahme aus zwei konzertanten Wiesbadener Aufführungen vom Februar 2006 nicht zu verstecken (siehe Das Orchester 5/06, S. 39). Vor allem in den ersten drei Akten sind Klang- und Ausdruckspräsenz, Spielkonzentration und Spannung bemerkenswert hoch. Viele Details hat man so prägnant noch nicht gehört. Dirigent Marc Piollet reizt Schumanns spezielles Opernidiom mit Mut und Geschick aus. Nur gelegentlich verfällt er in einen leicht betulichen Singspiel-Ton (den Schumanns Tempo- und Ausdrucksangaben kaum rechtfertigen). Doch meist hört man die Einspielung mit Gewinn und Zustimmung – auch dank trefflicher Protagonisten: Annette Daschs Genoveva verbindet Lyrik mit Durchschlagskraft, Morten Frank Larsens Siegfried zeigt die nötige Mischung aus traditionsbewusster Noblesse und Beweglichkeit. Michael Königs Golo hat Kraft und Kantabilität (wenn auch nicht Schreiers unübertroffen hintergründige Artikulationsschärfe), Andrea Baker gibt der zwielichtigen Margaretha gestische Flexibilität.
Zwei Minikürzungen hätte man sich schenken, dagegen den Doppelchor vorm Finale des 4. Akts durch die geforderten Glockenklänge ent-liedertafeln können. Alles in allem kommt Schumanns eigentümliche dramatische Mehrschichtigkeit nachhaltig zum Ausdruck. Kompliment nach Wiesbaden!
Michael Struck