Genesis Suite (1945)

A Musical Collaboration by Arnold Schönberg, Nathaniel Shilkret, Alexandre Tansman, Darius Milhaud, Mario Castelnuovo-Tedesco, Ernst Toch, Igor Stravinsky

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos 8.559442
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 91

Während der Hitler-Barbarei und des Zweiten Weltkriegs verspürten viele Intellektuelle und Künstler das Bedürfnis, sich der Grundfesten der westlichen Zivilisation zu versichern: des Alten Testaments. Thomas Mann zum Beispiel schrieb in jenen Jahren nicht nur seine vier Joseph-Romane, sondern war 1943 – neben Franz Werfel, Bruno Frank und anderen Emigranten – einer der Autoren in einer amerikanischen Erzähltext-Sammlung zu den zehn Geboten.
Ein ähnliches kollektives Kompendium entstand zwei Jahre später im Reich der Musik: ein siebensätziges Melodram zur biblischen Schöpfungsgeschichte, geschaffen von sieben Komponisten. Ende 1945 wurde die Genesis Suite unter Werner Janssen in Los Angeles uraufgeführt und in Hollywood für fünf Schellack-Platten eingespielt. Jahre später jedoch vernichtete ein Feuer die Partituren der fünf Binnensätze und die Genesis Suite galt lange als verschollen. Erst im Jahr 2000 wurde die Rekonstruktion abgeschlossen und diese erste Neuaufnahme des Werks möglich, die erfreulicherweise in Berlin stattfand. Gefördert vom amerikanischen Milken Archive erfolgten die Sprecheraufnahmen mehr als zwei Jahre später in New York.
Den Anstoß zur Genesis Suite gab einst der Komponist Nathaniel Shilkret (1889-1982), ein Tausendsassa der amerikanischen Musikindustrie, künstlerischer Direktor und Orchesterleiter bei diversen Plattenfirmen, Multi-Instrumentalist, Dirigent, Songwriter, Filmkomponist. Als er um 1940 daranging, die lange gehegte Idee einer biblisch inspirierten Komposition umzusetzen, war es wahrscheinlich Zeitmangel, der ihn dazu zwang, seinen Hollywood-Kollegen Mario Castelnuovo-Tedesco um Mithilfe zu bitten. Am Ende wurde es ein Netzwerk-Projekt von sieben Komponisten – alle (bis auf Shilkret) zwischen 1934 und 1941 aus Europa immigriert, alle (bis auf Strawinsky, der fürs Renommee des Projekts wichtig war) jüdischen Glaubens. Diese sieben (einige weitere wie Bartók, Hindemith, Prokofjew waren angefragt) nahmen sich verschiedene Teile aus dem 1. Buch Mose als Vorlage: Milhaud den Bruderzwist zwischen Kain und Abel, Toch den Regenbogen nach der Sintflut, Strawinsky den Turmbau zu Babel usw.
Die Suite ist alles andere als ein einheitliches Werk: Ernsthafte Gelegenheitsarbeiten mischen sich mit handwerklich sauberen hollywoodesken Partituren, die sich geradewegs nach der Technicolor-Breitwand sehnen. Kalifornien 1945: ein Zeitdokument. Insbesondere die drei langen Sätze – von Shilkret, Tansman, Castelnuovo-Tedesco – erinnern zuweilen an illustrierende Spielfilm-Soundtracks und gestikulieren dem Text hinterher: Da funkeln die frisch geschaffenen Sterne, wuselt die Fauna, haben Adam und Eva ihr Liebesthema, zischelt nervös die Schlange, schwillt die Sintflut gewaltig an und breitet sich hinterher die trocknende Natur als pastorales Idyll. Die gerührte Deklamation der amerikanischen Schauspieler macht die Sache nicht besser, nur deutlicher. Die kürzeren Sätze – den schwungvoll-melodischen Milhaud, den spätromantischen Toch, den eklektizistischen Strawinsky – würde man sich dagegen gerne öfter anhören, allerdings lieber ohne den Text. Da ist Schönberg klar im Vorteil: Er komponierte das hoch expressive Zwölfton-Vorspiel ohne Sprecher, in dem man die schöne Berliner Musizier- und Sangeskunst dieser Einspielung in Ruhe genießen kann.
Hans-Jürgen Schaal