Werke von Fanny und Felix Mendelssohn
Geistliche Musik 1
Christina Landshamer (Sopran), Martin Mitterrutzner (Tenor), RIAS Kammerchor, Kammerakademie Potsdam, Ltg. Justin Doyle
Justin Doyle bringt den RIAS Kammerchor und die Kammerakademie Potsdam in der ersten Folge einer Sakralmusik-Reihe für Kompositionen von Felix Mendelssohn und seiner Schwester Fanny berückend und hochrangig zusammen. Das Œuvre von Frauen der Vergangenheit, welche aufgrund eines repressiven Geschlechterverständnisses und Mehrfachbelastungen in allen Lebensbereichen Benachteiligungen erlitten hatten, erfährt derzeit dringend nötige Wiedergutmachung. Von Nischenkonzerten und Spezialeditionen rücken Komponistinnen endlich in Programme des sogenannte „Exzellenznivaus“ auf. Das ist wichtig, aber nur ein Teil der strategischen Wahrheit. Labels und Ausführende scheuen sich noch immer, etwa Kompositionen von Fanny in einer eigenen Edition – ohne Felix – vorzustellen.
Im Falle der Aufnahmen mit idealen Solist:innen wie Christine Landshamer und Martin Mitterrutzner stehen also mit Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser ein ausgewiesener Blockbuster, mit Felix’ Christus ein von Mythen und wissenschaftlichen Fragezeichen umranktes Fragment sowie mit Fannys Lobgesang ein beim ersten Blick durchaus mit Felix’ gleichnamiger Symphonie verwechselbares Stück an. Merkantile Überlegung aus Sicherheitsdenken? Elke Mascha Blankenburg, die Pionierin und Initiatorin einer frauenorientierten Musikwissenschaft und Repertoireerweiterung, hatte die zum ersten Geburtstag von Fanny Hensels Sohn entstandene Kantate nicht für das beste Stück der Komponistin gehalten. Andererseits findet, genau wie bei nicht erstrangigen Schöpfungen männlicher Komponierender, durch hochklassige Wiedergaben und Einspielungen eine Veredelung statt. Zudem ist bei Aufführungen nicht nur die schwer zu objektivierende Wertehierarchie für Kompositionen von Bedeutung, sondern die professionelle Achtsamkeit und subjektive Neigung der Ausführenden. Beides kommt in dieser Einspielung vorbildlich zusammen. Ziel also vollauf erreicht: Man möchte mehr hören und kennenlernen – von Fanny wie auch aus den zahlreichen Fragmenten ihres Bruders Felix.
Trotz dieser vielleicht allzu kritischen Beobachtungen behält Roman Hinke in seinem Booklet-Aufsatz recht: „Dass Fanny Hensels so beeindruckende wie reife Musik bis heute tief im Schatten derjenigen ihres berühmten Bruders steht, ist wohl nur mit den verkrusteten Rollenbildern einer über Jahrhunderte hinweg zutiefst einseitigen Musikgeschichtsschreibung zu erklären.“ Dass die Auseinandersetzung mit der Musik des langen 19. Jahrhundert neue spannende Impulse erhält, ist derzeit in erster Linie der Auseinandersetzung mit Komponistinnen von Fanny Mendelssohn bis Augusta Holmès zu verdanken. Diese abenteuerliche Entdeckungsreise verspricht weiterhin spannenden Wissens- und Erkenntniszuwachs, auch durch dieses Album.
Roland Dippel


