Tschaikowsky / Bach
Geigerseiten
Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Violinkonzert D-Dur op. 35 / Johann Sebastian Bach: Partita II d-Moll BWV 1004
Seit 40 Jahren auf der Bühne und seit 30 Jahren Konzertmeister: Zu diesem Doppeljubiläum schenkt uns Johannes Denhoff eine CD mit genau den Stücken, die bei der Abschlussprüfung an der Musikhochschule von der Prüfungskommission gefordert wurden und die zu Beginn des Studiums ein scheinbar unerreichbares Traumziel waren, nämlich Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur und Bachs d-Moll-Partita.
Der kritische Hörer stellt sich beim Lesen des Booklets die Frage, ob hier nicht jemand zeigen will, dass er noch immer die Kondition hat, sein Examen zu bestehen, nach dem Motto: Ich bin noch immer auf der Höhe meiner Kunst. Die beiden Werke sind anspruchsvoll, erfordern nicht nur außerordentliche technische Meisterschaft, sondern vor allem künstlerische Reife, die bei einem über 50-jährigen Solisten ganz anders entwickelt sein muss als bei einem Examenskandidaten.
Dann hört man die CD und staunt über die Klarheit, die fast tänzerische Heiterkeit, die Eleganz selbst bei schwierigsten Passagen, die das Technische vergessen und eine Leichtigkeit empfinden lässt, die an Mozart erinnert und Tschaikowskys Musik fern eines russischen Pathos als eine Wurzel von Strawinskys klassizistischer Periode erscheinen lassen. Doch bei aller Klarheit kommen die Emotionen nicht zu kurz, was vor allem für die gesanglich und innig gespielte Canzonetta gilt. Wer gedacht hatte, dass Tschaikowsky doch keinesweg zu Bach auf eine CD passen würde, wird eines Besseren belehrt. Denhoff spielt Bach mit derselben Klarheit, überlegten Artikulation, und er lässt sich auch hier nicht verführen, im großen Violinklang der Doppelgriffe zu schwelgen. Die verschiedenen Tanzrhythmen von Allemande, Corrente, Sarabande und Giga
arbeitet er charakteristisch heraus. In der Ciaccona gelingt es ihm auf seiner Violine eine virtuelle Polyfonie hervorzuzaubern, die G-Saite gleichsam als fülligen Bass zu entwickeln und die oberen Saiten als Oberstimmen zu betonen. Der Violinklang evoziert den Klangraum eines Orchesters und das nicht durch großen und gewichtigen Ton, sondern durch eine geistige Durchdringung, welche die Musik transzendent werden lässt.
Sowohl das Konzert von Tschaikowsky als auch die Partita von Bach werden hier nicht mit der Haltung des Virtuosen gespielt, haben nichts Rattenfängerisches, was mit dieser Haltung bisweilen verbunden ist. Vielmehr wird diese Musik aus dem Geist der Kammermusik gestaltet. Denhoff hört in sie hinein, ihm geht es um Zusammenspiel, Tiefe und geistige Durchdringung. Er ist bei seinen ehemaligen Examensstücken zu einer eigenständigen Interpretation herangereift und kann sich glücklich schätzen, eine solche Bilanz vorlegen zu können. Seine CD ist jedenfalls ein beglückendes Hörerlebnis.
Franzpeter Messmer


