Kampe, Gordon
Gassenhauer
Das hintersinnig abschätzige Beinah-Lächeln auf seinem Porträtfoto, das knabbernde Eichhörnchen im Goldrahmen, das Kinderkisten-Sammelsurium samt Klassiker-Gipsbüste auf dem Cover, mit dem sich prächtig tuten, blasen, rasseln, rätschen und schmirgeln lässt sie sagen schon das Wichtigste über Gordon Kampe, dessen querständige Spielernatur an Mauricio Kagel erinnert. Seine unprätentiöse Sinnesart spiegelt sich in seinem Lehrbrief, der nicht nur die Namen so freidenkender Ratgeber wie Hans-Joachim Hespos, Adriana Hölszky und Nicolaus A. Huber aufführt, sondern auch eine abgeschlossene Lehre als Elektroinstallateur.
Kampes Abneigung gegen akademische Steifheit, die oft weihevolle Aura zeitgenössischer Klanggeburten samt ihrer wie Stefan Drees im Beiheft trefflich bemerkt in Titeln versenkten Hölderlin-Zitate und Betroffenheitspünktchen drückt sich nicht nur im überbordenden Unernst seiner Musik aus (die für Augenblicke durchaus Gänsehaut auszulösen vermag). Sie zeigt sich auch in Werküberschriften, Satzbezeichnungen und Abschnittstiteln. So spielen die Ensemblekomposition Picard (2006, rev. 2010), Qs Nachtstück (2008) oder Ripley-Musik V (2005) auf filmische Science-Fiction-Entwürfe wie Star Trek und Alien an. Doch muss man sie nicht entschlüsseln, um in den Genuss unerhörter Klang-Topografien zu gelangen, die quasi an jeder Ecke mit einer neuen Überraschung aufwarten.
Zumal, wenn seine Noten und Vortragsanweisungen von so wahlverwandten Musikern erhört werden wie dem Ensemble Lart pour lart, das dem erwähnten Nachtstück zu (im doppelten Wortsinn) unheimlicher Wirkung verhilft, beginnend mit Variationen über My rifle, my pony and me jenem Song, den die Helden in Howard Hanks Western Rio bravo während der Banditen-Belagerung zu Mundharmonika und Gitarre anstimmen. Wobei Kampe die Hymne auf das ozeanische Freiheitsgefühl der Westmänner durchkreuzt, indem er die Musiker anweist, den Liedtext in Kuhglocken zu raunen eine Verfremdung von Klangsymbolen alpenländischen Wir-Gefühls, die er schließlich auf die Spitze einer Hülshoff-Cadenza treibt, die der Schlagzeuger fast stotternd, sehr schnell und ärgerlich (wie die Partitur gebietet) in eine Kuhglocke flüstert.
Wen wunderts, dass Kampes Lust am enthüllenden Verwirrspiel bis in die eigenen Werkkommentare ausstrahlt. Journalistische Stilblüten aufspießend, beschreibt er sein Orchesterstück High Noon: Moskitos vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Peter Hirsch wie gestochen abgebildet als klebrig-schwirrend gepixeltes Stück. [
] Atemgeräusche und (manchmal tonale) Klang-Schatten schwirren vorbei oder kleben bewegungslos in der Zeit. Tatsächlich navigiert das Stück zwischen Action und gespannter Ereignislosigkeit, Allotria und bedrohlicher Stille. Es führt an verrufene Stellen, zu Erlkönigs Töchtern am düstern Ort.
Übrigens kommt das sammeleifrige Cover-Eichhörnchen in Kampes Musik tatsächlich vor: als rückwirkende Metapher im Finalsatz der Gassenhauermaschinensuite (2009), deren witzig-aberwitzige Charakter-Anspielungen das E-mex Ensemble lustvoll nachturnt.
Lutz Lesle