Schnyder, Daniel / Saskia Apon / Christian Lindberg / Derek Bourgeois / Folke Rabe
Full Power
Ausgerechnet das, was es auf so vielen Blechbläser-Aufnahmen im Überfluss oder auch zum Überdruss gibt, nämlich Bearbeitungen der Weltliteratur von Gregorianik bis Grunge, das fehlt einem nach 60 fulminanten CD-Minuten mit der Trombone Unit Hannover ein wenig. Dabei ist die vom Deutschen Musikrat und DeutschlandRadio Kultur bei Genuin herausgegebene Einspielung gewiss nicht eintönig sie ist aber in oft ähnlicher Weise innovativ. Auch das kann irgendwann anstrengend sein.
Gleich sieben Originalkompositionen haben die acht Klasseposaunisten Frederic Belli, Mateusz Dwulecki, Lars Karlin, Angelos Kritikos, Tomer Maschkowski, Tobias Schiessler, Mateusz Sczendzina und Michael Zühl auf ihre erste CD gepackt, gleichsam als Frucht des Deutschen Musikwettbewerbs, den sie 2011 gewonnen haben. Alle Bläser haben übrigens Posaune bei Jonas Bylund in Hannover studiert, wo das Ensemble auch gegründet wurde.
Die Stücke von Daniel Schnyder (*1961), Saskia Apon (*1957), Christian Lindberg (*1958), Derek Bourgeois (*1941), Folke Rabe (*1935) und Jan Barke (*1934) bewegen sich im Grenzbereich zwischen Jazz, Neoromantik und gemäßigter Avantgarde, sind rhythmisch unglaublich vertrackt und verlangen höchste Virtuosität. Sie schwelgen in butterweicher Melodik, permanent wechselnden Tempi und erstaunlichsten Akkordkombinationen (die mit acht Posaunen eben möglich sind).
Zusammenspiel und Qualität sind bei Trombone Unit über alle Zweifel erhaben. Und es ist sympathisch, dass alle acht Mitspieler im Booklet ausführlich erklären dürfen, welch entscheidende Bedeutung das Ensemble in ihrem Leben spielt. Das sagt mehr als die üblichen optimierten biografischen Abrisse. Ein paar Seiten hätten die Herausgeber aber ruhig auch den Komponisten und ihren Werken widmen können. Sicherlich gäbe es dazu einiges zu sagen, zum Beispiel über den ersten Satz von Schnyders Posaunenquartett, der den vom Höreindruck kaum gedeckten Titel 1822: Rossinis Visit To Beethoven trägt. Am spannendsten ist vielleicht das Stück Bolos von Folke Rabe und Jan Barkund, das deutlich mehr spieltechnische Möglichkeiten als die anderen Werke nutzt und am modernsten im Sinne der klassischen Avantgarde ist.
Ein Blick auf die Homepage von Trombone Unit zeigt, dass die acht Posaunisten ihre Konzertprogramm freilich etwas anders füllen als diese CD zum Beispiel auch mit Bearbeitungen von Anton Bruckner, Hildegard von Bingen, Georg Friedrich Händel und Modest Mussorgsky. Einige der Arrangements schreibt Lars Karlin als Ensemblemitglied sich und seine Kollegen auf den Leib und schreibt darüber im Beiheft. Gerne hätte man davon auch etwas gehört.
Johannes Killyen