Rieger, Eva

Friedelind Wagner

Die rebellische Enkelin Richard Wagners

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Piper, München 2012
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 65

Bücher über Mitglieder der Familie Wagner können immer mit Interesse und Aufmerksamkeit rechnen. Dabei sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zunehmend die Frauen ins Blickfeld getreten, teils mit großangelegten biografischen Darstellungen, teils mit autobiografischen Aufzeichnungen.
Nun also Friedelind Wagner, die älteste Tochter von Siegfried und Winifred Wagner, deren Schicksal bei Eva Rieger in besten Händen liegt. Die gut 450 Seiten lesen sich wie im Flug, was nicht nur am flüssigen Stil der Autorin liegt, sondern eben auch an der eindrucksvollen Lebensgeschichte der Protagonistin: geboren 1918, aufgewachsen im Spannungsfeld von verhängnisvoller Weltpolitik, Tradition und häuslicher Freiheit, dann der heftige Bruch mit der Familie und allem, was Bayreuth bis dahin auch für Friedelind verkörpert hatte, Internierung in England, Exil in Amerika, Unterstützung der Familie nach dem Ende des Kriegs, Anfeindungen in Deutschland wegen der Emigration (wohl eines der finstersten Kapitel der Nachkriegsgeschichte), Rückkehr nach Deutschland und Europa, Aufbau und Scheitern der Meisterklassen, die Ausbootung in Bayreuth, das zwiespältige Verhältnis zur Mutter sowie das rastlose Leben bis zum Ende mit immer wieder neu gesteckten Zielen und enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen.
Diese Rahmendaten sind Gewähr für eine spannend zu lesende Biografie. Deutlich wird Eva Riegers Bemühen, ein wirklich umfassendes, tiefenscharfes Charakterbild ihrer Protagonistin zu entwerfen, ein Bild, das mit „rebellisch“ – so der Untertitel des Buchs – nur sehr unzureichend erfasst ist: Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Konsequenz, Aufgeschlossenheit und Mut sind weitere Eigenschaften, die Rieger unaufdringlich und konsequent herausarbeitet. Andersherum betrachtet lässt sich ein gehöriges Maß an Renitenz nicht leugnen, das manchmal die Grenze des Querulantischen streift. Friedelind hatte es nicht leicht mit ihrer Familie und die Familie nicht mit ihr. Besonders interessant sind die Kapitel zu Friedelinds Zeit in den USA mit dem Versuch, sich künstlerisch zu etablieren, und den vielen Kontakten zu Freunden und Kollegen.
Hektische Betriebsamkeit ist ein Eindruck, der sich beim Leser verfestigt. Friedelind Wagner war spontan, unkonventionell und in vielem, was sie tat, als „Selfmadefrau“ sympathisch unprofessionell. Eine solch ungebändigte Persönlichkeit musste aus Bayreuther Sicht ein Risiko darstellen. Man kann daher leicht nachvollziehen, warum die Mutter und die Brüder nach dem Krieg alles daransetzten, die Schwester aus dem Leitungsbetrieb der Bayreuther Festspiele herauszuhalten. Die ziemlich unverhohlene Parteinahme der Autorin für ihre Protagonistin kann man verstehen; die „andere Seite“ – und hier vor allem Wolfgang Wagner – kommt eher schlecht weg. Gleichwohl: Auch Pointierungen tun einem Buch gut, reizen zum Widerspruch und machen das Lesen angenehm.
Ulrich Bartels