Fremde Passagiere
Auf den Spuren von Viktor Ullmann
Das Schaffen und Schicksal Viktor Ullmanns ist der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts auf besondere Weise eingeprägt: 1898 als Sohn eines österreichisch-jüdischen Offiziersehepaars geboren, wurde Ullmann nach dem Ersten Weltkrieg für acht Monate Kompositionsschüler Arnold Schönbergs in Wien und ging 1921 als angehender Kapellmeister nach Prag. Nach weiteren dirigentischen Stationen betrieb er ab 1931 einen anthroposophischen Buchladen in Stuttgart, ehe ihn 1933 die Lage in Deutschland zwang, nach Prag zurückzukehren. Dort wirkte er als Musiklehrer und Kritiker, nahm aber auch noch einmal Kompositionsunterricht diesmal beim Viertelton-Guru Alois Hába.
Im September 1942 wurde Ullmann ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert in jene perverse und doch für Künstler zeitweise (scheinbar) entlastende Vorzeige-Institution des nationalsozialistischen Vernichtungssystems. Hier schrieb er mehr als zwanzig Werke, deren bekanntestes die Oper Der Kaiser von Atlantis ist. Sie, aber auch Ullmanns Kammermusik, fanden hierzulande erst wieder oder erstmals Beachtung, als sich musikalische Exilforschung etablierte und das Interesse an den von Mord-Deutschland verdrängten und vernichteten Komponisten erwachte. Ullmanns 2. Symphonie, die als Bonus-File der vorliegenden DVD eine prägnante Wiedergabe durch das Gürzenich-Orchester unter Leitung James Conlons erfährt, ist die von Bernhard Wulff nach eingehenden Instrumentationsangaben des Komponisten ausgearbeitete Orchesterfassung der 7. Klaviersonate, die Ullmann Theresienstädter Skizzenbuch nannte.
Den Hauptteil der DVD bildet eine vom ORF produzierte Ullmann-Dokumentation, die durch ein Interview mit dem Dirigenten James Conlon ergänzt wird. Sie wirkt zwar kundig und engagiert, leidet jedoch darunter, dass sich Ullmanns Leben und das Besondere seines Schaffens mit den hier eingesetzten Mitteln nur begrenzt visualisieren lässt (heutige Reise- und Naturbilder, eine beschränkte Zahl historischer Dokumente, dagegen relativ umfangreiche Informationen und Bilder zum tragischen Schicksal von Ullmanns Kindern). So wirkt das Ergebnis letztlich etwas mühsam aufgearbeitet und nicht ganz austariert. Vielleicht wäre das Thema doch eher etwas für eine reine Hör-Produktion gewesen mit aussagekräftigen Ullmann Zitaten und vor allem mit mehr Musikausschnitten.
Michael Struck