Koldau, Linda Maria

Frauen – Musik – Kultur

Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln 2005
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 75

Bevor Linda Maria Koldau sich 2002, gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg, daran machte, die Rolle der Frauen im Musikleben des 15. bis 17. Jahrhunderts zu erforschen, war ihr Thema in der Musikgeschichtsschreibung ein großer blinder Fleck. Auch Spezialistinnen der musikwissenschaftlichen Genderforschung hatten – nach den vorbürgerlichen Jahrhunderten befragt – außer Sophie Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, dem Wienhäuser Liederbuch und vagen Verweisen auf Spielfrauen und die Musikpraxis in Frauenklöstern wenig zu bieten. Aber nachdem die Suche einmal begonnen war, wuchs der Umfang an verfügbaren Informationen rapide.
War zunächst „an einen kleinen Aufsatz oder allenfalls ein knappes, hundertseitiges Bändchen gedacht“, liegt nun das Ergebnis auf stolzen 1200 Seiten vor. Trotzdem heißt es im Vorwort bescheiden, dass das Werk „nicht als abschließende, sondern als eröffnende Darstellung“ gemeint sei: „Es könnte nichts Besseres passieren, als dass es in fünfzig Jahren als überholt gilt – denn das hieße, dass dieses Buch längst fällige Studien zu Frauen und Musik in der Frühen Neuzeit angeregt hat.“
So schnell wird das wohl nicht geschehen. Nach akribischer Durchforstung vorhandener Literatur (das Verzeichnis füllt fast 80 Seiten) und Erschließung zahlreicher Quellen aus 45 Archiven und Bibliotheken hat die Verfasserin eine fast unerschöpfliche Fundgrube an Informationen vorgelegt, die sich gleichwohl zu aussagekräftigen Bildern zusammenfügen. Die Themen reichen von der Musikpraxis adliger Frauen und ihrer Hofdamen an den Habsburger Höfen und anderen Zentren des Hochadels über die Rolle von Kaiserinnen, Fürstinnen und Herzoginnen als Trägerinnen einer tatkräftigen Kulturförderung und eines europaweiten Kulturtransfers über das in den privaten Raum verwiesene Musizieren in Bürgerfamilien und die musikalische Unterweisung in Mädchenschulen, über Liederdichterinnen, Liedersammlungen von und für Frauen, ihre Gesangspraxis in Gemeinde, Schule und Familie, über die Musikpraxis der Benediktinerinnen, Zisterzienserinnen, Dominikanerinnen und Stiftsfrauen bis hin zu den eher selten belegten Beispielen professioneller musikalischer Tätigkeit: Spielfrauen, Hofsängerinnen, musikalisch ausgebildete Kammerfrauen und – erstaunlich zahlreich – Frauen, die als Leiterinnen von Musikverlagen bzw. -druckereien namentlich bekannt und teilweise auch namhaft geworden sind.
Das Buch ist sprachlich brillant und inhaltlich gedankenreich geschrieben. Es bleibt nicht an der Faktenoberfläche, sondern schafft Zusammenhänge, sucht Begründungen, entwirft Bilder und biografische Skizzen. Ein Beispiel ist Sophie von der Pfalz (spätere Kurfürstin von Hannover), deren Schicksal manche Ähnlichkeit mit demjenigen Wilhelmines von Bayreuth aufweist, ein anderes die „Schulmeisterin Magdalena Heymair“, die im 16. Jahrhundert durch die Publikation von fünf Bibelliederbüchern bekannt wurde. Mit Katharina Zell stellt Linda Maria Koldau eine unkonventionelle Laientheologin im Kreis der Straßburger Reformatoren vor, die den Gemeindegesang ihrer Mitbürger durch die Zusammenstellung eines protestantischen Gesangbuchs förderte, und mit Marta von Mecheln lernen wir eine niederländische Musikerin kennen, „die treflich wol auf dem virginal schlagen und sonst auch wohl singen und musicieren khan“, die in den 1570er Jahren am Hof Kaiser Maximilians II. angestellt und Widmungsadressatin zahlreicher Huldigungsgedichte und -kompositionen war. Nicht zu vergessen auch das Kuriosum, dass an demselben Hof 1655 eine „Trompeterin, die vor Ihrer Khays. May. geblassen“, nachweisbar ist – ein frühes Beispiel dafür, dass unter großzügigen Umständen auch eine eher „unweibliche“ Musikpraxis hoffähig sein konnte.
Eine willkommene Ergänzung der bereits vorliegenden Standardwerke zur musikwissenschaftlichen Frauenforschung und darüber hinaus ein überzeugender Beitrag zu einer immer noch vernachlässigten kulturgeschichtlich orientierten Musikwissenschaft.
Freia Hoffmann