Arnim, Jan Jiracek von
Franz Liszt
Visionär und Virtuose. Eine Biografie
Die Konstellation ist geeignet, Lesebegehrlichkeiten zu wecken: Ein junger Pianist und Hochschullehrer, der sich auch um das kümmert, was man Vermittlung nennt, schreibt eine Liszt-Biografie; nimmt emphatisch interessiert und liebevoll kritisch-distanziert Partei für einen maßgeblichen Komponisten und Künstler, einen schillernd-geheimnisvollen Menschen und, selbstverständlich, auch seine Musik.
Von Arnims Liszt-Buch kann unter der Voraussetzung solcher Wünsche nur enttäuschen. Es erzählt wenig aufregend und leidenschaftslos eine Lebengeschichte, eingeteilt in vier (Lebens-)Abschnitte zu je drei Kapiteln, umrahmt von Prolog und Epilog, der als Nachklang von Liszt als Lehrer berichtet und zu den lesenswerteren Teilen des Buchs gehört.
Was der Klappentext in feinen Strichen skizziert nennt, ergibt ein blasses, wenig detailliertes Bild Franz Liszts. Und dies Bild tendiert latent oft ins Negative mit der Neigung, sich den um Liszt rankenden Legenden anzuschließen. Der Komet in Liszts Geburtsjahr darf hier nicht fehlen, der beruflich vermeintlich erfolglose Vater, die bedauernswert mangelnde (Schul-)Bildung des Sohns und dessen angebliche, geringe Ausdauer beim Arbeiten. Von Arnim lässt dies von ihm zitierte bösartige Verdikt der Fürstin Wittgenstein (Liszts letzter Lebensgefährtin) zu Liszts Arbeitsethos unkommentiert, wie auch andere seiner Zitate, die dadurch wie im leeren Raum schweben. Dabei wäre es gerade in Anbetracht seines potenziellen Lesepublikums musikhistorisch nicht bewanderte Musikliebhaber nützlich gewesen zu kommentieren, Deutungen anzubieten, Zusammenhänge herzustellen.
Befremdlich erscheint die indifferente Haltung, die der Biograf an den Tag legt, wenn er sich, selten genug einmal, der Musik zuwendet. Meist geschieht das in Allgemeinplätzen oder hermeneutischen Vermutungen: Wenn ich ein Werk wie ,Vallee dObermann spiele, meine ich die Verzweiflungsrufe des jungen Liszt zu hören [
] und fühle mich dadurch persönlich angesprochen. Der zentralen Bedeutung der h-Moll-Sonate (in ihr verbindet sich Liszts virtuoser Stil mit tiefer Empfindung der Zwischentöne) wird ein Biograf sicher nicht gerecht, wenn er die ablehnenden Äußerungen über sie mit der Anekdote krönt, dass Brahms bei Liszts privatem Vorspiel eingeschlafen sei. Dass Liszt auf die Ablehnung seiner neuen Musik nicht kleinmütig reagierte, sondern mit kakanischem Witz und stoischem Stolz (so Wolfgang Dömling in seiner schmalen, detailreichen Liszt-Biografie, die man beim Lesen der von Arnimschen zur Hand haben sollte), erfährt der Leser bei von Arnim nicht.
Das Literaturverzeichnis seines womöglich mit heißer Nadel gestrickten Buchs führt überwiegend die eingeführten Liszt-Biografien auf, darunter auch die neuesten Datums, etwa die 2011 erschienene von Oliver Hilmes. Wenn von Arnim nun im Anmerkungsteil auf eben diese Sekundärquellen mit dem Satz verweist: Die folgende biografische Darstellung schöpft aus den im Literaturverzeichnis aufgeführten Quellen, wird verständlich, warum sein Buch den Charakter der Uneigentlichkeit trägt und sich als Biografie aus zweiter Hand liest.
Günter Matysiak