Hamburger, Klára
Franz Liszt
Leben und Werk
Eine neue Liszt-Biografie? Gewiss bietet das Liszt-Jahr 2011, in dem sich der Geburtstag des Zukunftsmusikers zum 200. Mal jährt, hinreichend Anlass für Jubiläumsaktivitäten. Indes: Ist nicht alles gesagt über den begnadeten König des Klaviers, den musikalischen Revolutionär, den Salonlöwen, Womanizer und Gottsucher, über diese in ihrer Widersprüchlichkeit geradezu faustische Gestalt? Und kann, zugleich gefragt, der klassische monografische Zugriff heute noch gelingen, in einer Zeit, da auch auf dem Feld der Musikologie die Untersuchung von Einzelfragen nach streng wissenschaftlichen Kriterien Vorrang besitzt vor jeglichem Bemühen um eine Gesamtschau?
Klára Hamburgers Liszt-Buch beweist, dass die skizzierten Gegensätze miteinander vereinbar sind: Als Musikwissenschaftlerin und ausgewiesene Liszt-Expertin bezieht die Autorin eine Fülle von Fachliteratur zum Thema bis hin zu neuesten Titeln etwa Dissertationen aus den Jahren 2008 und 2009 in ihre Darstellung ein und verweist in ihren Fußnoten auf die jeweiligen Quellen. Zugleich ist ihr mit dieser Publikation ein angenehm lesbares, nachgerade spannend erzähltes Buch geglückt, das eine profunde und damit perfekte Einstimmung ins Liszt-Jahr darstellt und allen Interessierten als Referenzwerk nachdrücklich empfohlen werden kann.
Viel Aufmerksamkeit widmet die ehemalige Generalsekretärin der ungarischen Liszt-Gesellschaft Fragen wie jener nach der nationalen Identität Liszts oder auch nach seiner religiösen und weltanschaulichen Grundierung. Zumal in der von den politischen Fährnissen des 20. Jahrhunderts geprägten Liszt-Rezeption kam diesen Aspekten übermäßig große Bedeutung zu: Die NS-Publizistik reklamierte Liszt als deutschen Meister, Béla Bartók hingegen betonte, dass sich Liszt trotz seiner Unkenntnis der Landessprache in Wort und Tat als Ungar definiert habe. Das kommunistische Ungarn schließlich verschwieg weitgehend Liszts freidenkerischen Katholizismus. Erst in der Überwindung dieser gefärbten Liszt-Deutungen aber konnte, so Klára Hamburger, gelingen, was sie selbst als wichtigstes Ziel
ihres Buches darlegt: eine neue, angemessene Wertschätzung des Komponisten Liszt, nicht zuletzt seines außerordentlichen Spätwerks. Dass dieses gleichermaßen auf Reduktion wie Öffnung der Perspektive ausgerichtete späte uvre Resultat eines langen Entwicklungsprozesses war und nicht als Ausdruck resignativen Eremitentums misszuverstehen ist, legt Hamburger überzeugend dar.
Bereits 1973 hat Klára Hamburger ein Liszt-Buch vorgelegt, es erschien 1987 in zweiter Auflage. Selbstverständlich schmälert dies den Wert der hier vorgelegten Monografie in keiner Weise, nur wüssten wir gern mehr über die Relation des neuen Texts zu den vorherigen Publikationen. Einzelne Äußerungen wie jene, dass das Spätwerk noch immer kaum gespielt werde, scheinen älteren Textversionen zu entstammen. Hier wäre ein klärendes Wort hilfreich gewesen.
Gerhard Anders