Hindemith, Paul

Frankenstein’s Monstre Repertoire

für Streichquartett

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: das Orchester 12/2009 , Seite 66

Auch heute noch hält Paul Hindemiths umfangreiches Œuvre einige richtige Überraschungen bereit. Freilich weniger aus dem Bereich der großen Oper oder des sinfonischen und konzertanten Repertoires als vielmehr aus dem Bereich der Kammermusik. Und hier sind es vor allem kleinformatige Kompositionen, die neuerdings auftauchen (etwa die bisher fehlenden Sätze der Sonate op. 11/6 oder auch die Reinschrift eines hochvirtuosen Praeludiums für Violine allein – beides bei Schott in den vergangenen Jahren als Einzelausgaben erschienen).
Doch auch bei der etwas leichteren (nicht aber: leichtgängigeren) Musik darf man fündig werden: Erinnert sei etwa an die schräge Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“ und das „Minimax“-Repertorium (beides für Streichquartett), oder auch an das “Musikalische Blumengärtlein” und “Leyptziger Allerley” (1927) für Klarinette und Kontrabass – alles musikalische Späße der allerfeinsten Sorte und mit einem kompositionstechnischen Komfort, an dem sowohl der Kenner wie auch der Liebhaber seine Freude haben kann. Hindemith ging es dabei zu keinem Zeitpunkt um billigen Humor, allenfalls um die Abbildung einer selbst erlebten musikalischen Realität – selbst seine (leider wohl endgültig verschollenen) Werke wie der Ragtime “The spleeny Mau” (1917) oder Das atonale “Cabaret” (1920) sind Belege von einer ganz eigenen, beobachtenden und selbstreflektierenden Ironie, wie man sie auch aus Hindemiths teilweise skurrilen Zeichnungen kennt.
Nicht ganz zu dieser Kategorie gehört ein 60 Takte umfassender Satz für Streichquartett mit dem recht kuriosen Titel “Frankenstein’s Monstre Repertoire” – denn es handelt sich hierbei um nichts weiter als um ein vom Komponisten selbst angefertigtes Arrangement (ca. 1944) des ersten der “Drei leichten Stücke für Violoncello und Klavier” (1938) – wundervoll unaufgeregte Spielmusik, bei der wie im Original dem Cello eine besonders dankbare Aufgabe zukommt, den übrigen Streicherstimmen aber auch ein eigenständiger Begleitsatz zukommt (mit reizvollen Pizzicato-Passagen).
Waren die originalen “Drei leichten Stücke” schon für das häusliche Musizieren von Paul und Gertrud Hindemith gedacht, so weist auch der „horrible“ Titel des an sich unproblematischen Allegrettos in das von Hindemith so radikal abgeschirmte Privatleben – hier in das des amerikanischen Exils in New Haven. Zusammen mit zwei jungen Studentinnen bildete man hier zur häuslichen musikalischen Ergötzung ein Streichquartett. Eine dieser Geigerinnen, Jean Mainous, löste später das Rätsel um diesen hübschen, bisher ungedruckt gebliebenen Satz auf: „Ich glaube, bei einem der ersten Treffen zum gemeinsamen Spielen fingen wir an über Horrorfilme zu reden. Herr Hindemith war ein richtiger Fan von Horrorfilmen. Er hatte alle gesehen und erinnerte sich an alles. Aus irgendeinem Grund fingen wir an, darüber zu lachen, und wir nannten uns künftig ,Das Frankenstein Quartett‘.“ Partitur und mitgelieferte Stimmen haben ein angenehm sauberes Druckbild.
Michael Kube